Autonome KI-Agenten: Die Medizin von morgen braucht neue Regeln

Warum die aktuellen Regulierungen im Gesundheitswesen an ihre Grenzen stossen – und was laut deutschen Forschern jetzt passieren muss.

, 18. August 2025 um 00:20
image
Symboldbild: Cash Macanaya on Unsplash
Wer in der Schweiz digitale Versorgung, Spitalstrategie oder Medtech-Entwicklung mitgestaltet, kommt an einer Frage nicht mehr vorbei: «Wie regulieren wir autonome KI?». Die heute noch experimentellen Systeme werden schon bald Teil des klinischen Alltags sein – von der Onkologie bis zur Notfallmedizin.
Doch ihre Einführung droht an den Zulassungsmechanismen zu scheitern. Denn durch ihren medizinischen Zweck gelten sie oft als Medizinprodukte und müssen spezifische Gesetze und Vorgaben erfüllen.
Ein Forschungsteam der Technischen Universität Dresden warnt in «Nature Medicine» vor einer wachsenden Lücke zwischen technologischem Fortschritt und regulatorischen Realitäten – auch mit Blick auf die Patientensicherheit.
  • Oscar Freyer, Sanddhya Jayabalan, Jakob N. Kather und Stephen Gilbert: «Overcoming Regulatory Barriers to the Implementation of AI Agents in Healthcare», in: «Nature Medicine», Juli 2025.
  • DOI: 10.1038/s41591-025-03841-1.
Autonome KI-Agenten gehen über klassische Entscheidungsunterstützung hinaus. Sie kombinieren LLMs (Large Language Models) mit Bildanalyse, klinischen Guidelines und Patientendaten – und vor allem: Sie agieren zunehmend selbstständig.
«Um das volle Potenzial autonomer KI-Agenten im Gesundheitswesen zu realisieren, sind mutige und zukunftsorientierte Reformen nötig.» Stephen Gilbert, TU Dresden.
Für Spitäler, Praxisnetzwerke oder Pflegeeinrichtungen bieten solche Systeme enormes Potenzial: Effizienzgewinne, Entlastung bei Routineaufgaben und vernetzte Versorgung in Echtzeit. Doch der regulatorische Rahmen stammt aus einer Zeit statischer, klar abgegrenzter Medtech-Produkte.

Drei Wege zur sicheren Einführung

Das Forschungsteam des Else Kröner Fresenius Zentrums für Digitale Gesundheit (EKFZ) an der TU Dresden schlägt folgende Schritte vor:
1. Kurzfristig: Ausweitung bestehender Ermessensspielräume («Enforcement Discretion») oder temporäre Ausnahmen (Nicht-Medizinprodukt-Klassifizierung) für bestimmte KI-Anwendungen.
2. Mittelfristig: Entwicklung freiwilliger alternativer Zulassungswege, die dynamische Anpassungen und Überwachung im realen Einsatz ermöglichen – statt einer rein statischen Vorabprüfung.
3. Langfristig: Etablierung eines Qualifikationssystems analog zur ärztlichen Qualifizierung: KI-Systeme würden stufenweise mehr Autonomie erhalten, basierend auf dokumentierter Sicherheit und Wirksamkeit im Einsatz.
Für das Gesundheitswesen bedeutet das: Es braucht regulatorischen Mut. Und eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen Tech-Branche, Fachgesellschaften, Behörden und Spitälern. Nur so kann sichergestellt werden, dass Innovation nicht auf der Strecke bleibt – und dass Patientinnen und Patienten sicher profitieren.

  • digital & ki
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

KI in der Medizin? Klar, kein Problem.

Dr. KI auf dem Vormarsch: Künstliche Intelligenz wird in der Bevölkerung zunehmend akzeptiert – für Diagnosen, Zweitmeinungen und zur Früherkennung. Dies besagt eine repräsentative Erhebung in Deutschland.

image

KSW plant Einsatz von Secondhand-Lizenzen

Um Kosten zu sparen will das Kantonsspital Winterthur gebrauchte Microsoft-Lizenzen beschaffen.

image

Shape sensing roboter-assistierte Bronchoskopie

Eine aktuelle Studie am Universitätsspital Zürich zeigt: Shape sensing roboter-assistierte Bronchoskopie (ssRAB) mit dem Ion Endoluminalsystem erzielt dreifach höhere Diagnoserate bei kleinsten Lungentumoren als herkömmliche Bronchoskopie-Methoden.

image

KI in der Augenheilkunde: Der neue Kollege, den niemand einarbeitet

Künstliche Intelligenz kann Netzhautbilder zuverlässig analysieren. Trotzdem kommt sie im Praxisalltag selten zum Einsatz, wie eine Befragung im DACH-Raum zeigt.

image

Weniger Notfall, mehr Sicherheit: Telemedizin unterstützt Spitex-Teams im Aargau

In einem Pilotprojekt testen Medgate und zwei Spitex-Organisationen den Einsatz von telemedizinischer Expertise in den Wohnungen der Klienten. Sensorikgeräte liefern dabei entscheidende Daten in Echtzeit.

image

Vom Bestellbüro zum Werttreiber

Interview von Unite mit Christian Offergeld, Strategie- und Managementberater für Spitäler bei Unity Schweiz AG , über die notwendige Transformation und Digitalisierung der Beschaffung in Spitälern

Vom gleichen Autor

image

Unfruchtbarkeit: Neue WHO-Leitlinie zu Prävention, Diagnose und Behandlung

Die Weltgesundheitsorganisation fordert in der ersten globalen Leitlinie zu Infertilität umfassende Reformen, damit Fertilitätsmedizin sicherer, gerechter und erschwinglicher wird.

image

ETH-Team beobachtet erstmals live, wie Grippeviren lebende Zellen befallen

Ein internationales Team unter Leitung der ETH Zürich hat erstmals live und in sehr hoher räumlicher Auflösung dokumentiert, wie Grippeviren in Körperzellen eindringen.

image

Adipositas: WHO vollzieht Kurswechsel

In einer neuen Leitlinie gibt die Weltgesundheits-Organisation grünes Licht für den Langzeiteinsatz von GLP-1-Medikamenten bei Adipositas. Zugleich warnt sie vor Engpässen – und fordert einen regulierten Zugang.