Eigentlich sollte jeder Patient oder jede Patientin gleich und fair behandelt werden. Eigentlich. So zumindest sollte das idealistische Ziel einer Ärztin oder eines Arztes lauten. Dass dies natürlich nicht immer so zutrifft, ist aus der Praxiserfahrung nicht von der Hand zu weisen.
Auftrieb gibt dieser These eine neue Studie aus den USA. Diese deutet darauf hin, dass Ärzte, die andere Ärzte behandeln, möglicherweise einem «VIP-Syndrom» ausgesetzt sind. So sagten 17 von 21 befragten Ärzten, dass Ärzte als Patienten «in der Lage waren, bestimmte Privilegien zu erlangen, die andere Patienten nicht erhalten würden».
Mehrere Privilegien genannt
Neben einem schnelleren Zugang zur Behandlung wurden auch mehr Zeit für ein ausführliches Behandlungsgespräch oder mehr Aufmerksamkeit als bei typischen Patienten genannt. Mehrere Ärzte oder Ärztinnen gaben an, dass sie berufliche Privilegien für ihre eigenen Behandlungsbedürfnisse nutzen würden oder genutzt hätten, so zum Beispiel den Arzt für einen Termin direkt anzurufen, anstatt das Callcenter zu nutzen.
Screenshot «Jama Network Open»
Problem? Mangel an Konsens
Einige Ärzte sagten, sie sähen kein Problem darin, zusätzliche Leistungen anzubieten; sie seien nicht in Konflikt damit geraten. Die Mediziner betrachteten die Privilegien als Vorteil der Kenntnis des Gesundheitssystems und sagten, sie erhielten letztendlich die gleiche Versorgung wie jeder Patient. Zudem könne man halt angesichts des medizinischen Wissens tiefere und detailliertere Gespräche über die Behandlung führen. Es gab aber auch andere Meinungen und die Interviews zeigten hier einen Mangel an Konsens.
Befragt wurden 11 Ärzte und 10 Ärztinnen, alles Onkologen aus dem Umfeld eines US-amerikanischen Krebszentrums, die alle über Erfahrungen in der Behandlung anderer Ärzte verfügen. Durchgeführt wurde die Studie vom Winship Cancer Institut der Emory Universität Atlanta in Georgia. Die Ergebnisse der qualitativen Studie wurden soeben in der medizinischen Open-Access-Zeitschrift «Jama Network Open» veröffentlicht, die von der «American Medical Association» herausgegeben wird.
Mehr Anleitung bei der Betreuung von Ärzten
Wenn Ärzte seinesgleichen behandeln, kann dies aber auch eine Herausforderung sein: Einige Ärzte gaben an, sie würden unter Druck und Stress stehen und hätten das Gefühl, beurteilt zu werden. Dies könnte sich auch negativ auf die Behandlung auswirken. Es komme zudem auch vor, dass die «Arzt-Patienten» versuchen, ihre eigene Behandlung zu diktieren. Andere Mediziner wiederum fühlen sich geehrt, wenn sie andere Ärzte oder Ärztinnen behandelten.
Ob die Ärzteschaft aufgrund ihrer Privilegien schlechtere oder bessere Behandlungsresultate erfahren, konnte die Studie nicht feststellen. Den Studienautoren zufolge benötigt es allerdings entsprechende Leitlinien, die Ärzten helfen sollen, die komplexen Beziehungen zwischen ihnen und ihren «Arzt-Patienten» zu steuern und besser zu bewältigen. Denn nur mit einer Orientierungshilfe für Behandlungspläne könnten gerechte Ergebnisse zwischen Ärzten und nichtärztlichen Patienten gewährleistet werden.