Abnehmspritzen wirken – aber unabhängige Daten fehlen

Die Datenlage bei Abnehmspritzen ist einseitig: Fast alle Studien stammen von den Herstellern selbst. Forschende warnen vor Interessenkonflikten – und fordern unabhängige Langzeitstudien.

, 4. November 2025 um 05:13
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Wirken die Abnehmspritzen wirklich? Cochrane zieht Bilanz. Symbolbild: Unsplash
Medikamente wie Wegovy, Ozempic oder Mounjaro gelten als Hoffnungsträger im Kampf gegen Adipositas. Drei neue Cochrane Reviews, erstellt im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO, zeigen nun: Die sogenannten «Abnehmspritzen» führen tatsächlich zu einer medizinisch relevanten Gewichtsreduktion.
«Diese Medikamente können insbesondere im ersten Jahr zu einem deutlichen Gewichtsverlust führen», sagt Juan Franco von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leiter der Cochrane Evidence Synthesis Unit, in einer Mitteilung.
Nach jahrzehntelangen erfolglosen Versuchen, wirksame Behandlungen für Menschen mit Adipositas zu finden, sei dies «ein bemerkenswerter Schritt nach vorn.»

Deutlicher Gewichtsverlust

Alle drei untersuchten Wirkstoffe beeinflussen die Appetitregulation. Liraglutid und Semaglutid gehören zur Klasse der GLP-1-Rezeptor-Agonisten, Tirzepatid wirkt zusätzlich über den GIP-Rezeptor.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
  • Tirzepatid: In acht Studien (6'361 Teilnehmende) sank das Gewicht nach 12–18 Monaten um rund 16 Prozent. Die Evidenz gilt als moderat, da mögliche Verzerrungen in den Herstellerstudien bestehen. Langzeitdaten zur Sicherheit fehlen weitgehend.
  • Semaglutid: In 15 Studien (8'651 Teilnehmende) verloren die Probandinnen und Probanden im Schnitt rund 11 Prozent ihres Körpergewichts – ein Ergebnis mit hoher Vertrauenswürdigkeit. Zwei zusätzliche Studien mit fast 18'000 Hochrisiko-Patientinnen und Patienten deuten auf eine leicht reduzierte Rate schwerer Herz-Kreislauf-Ereignisse hin, klinisch jedoch kaum relevant.
  • Liraglutid: Die Datenbasis ist schwächer. Nach rund 68 Wochen gelang es 64 Prozent der Teilnehmenden, ihr Gewicht um mindestens 5 Prozent zu reduzieren – gegenüber 30 Prozent unter Placebo. Der Effekt nimmt über die Zeit ab.

Nebenwirkungen und offene Fragen

Bei allen Präparaten traten häufig Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit oder Erbrechen auf. Besonders bei Semaglutid führten diese teils zum Therapieabbruch.Insgesamt bleiben laut den Autorinnen und Autoren momentan noch einige Fragen offen.
So fordern die Forschenden mehr randomisiert kontrollierte Studien zu Langzeitwirksamkeit und Langzeitsicherheit der Präparate – und auch dazu, wie sich die Mittel langfristig auf die Herzkreislaufgesundheit auswirken. Damit soll klarer werden, welche Rolle die Medikamente bei der langfristigen Gewichtskontrolle spielen können. Zudem seien herstellerunabhängige Studien notwendig, «um Medizinern und Gesundheitspolitikern besser für ihre Entscheidungen zu informieren».
Über Cochrane Deutschland
Cochrane Deutschland mit Sitz in Freiburg ist Teil der internationalen, gemeinnützigen Cochrane Collaboration. Dieses Netzwerk unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstellt systematische Übersichtsarbeiten zu verschiedensten medizinischen und gesundheitlichen Fragen – die so genannten Cochrane Reviews.
Darin fassen die Forschenden die weltweite Studienlage zusammen und bewerten deren Qualität. Ziel ist es, dadurch eine evidenzbasierte, verlässliche Grundlage für medizinische und gesundheitspolitische Entscheidungen zu schaffen. Seit seiner Gründung 1993 hat das Netzwerk bereits etwa 9500 Cochrane Reviews veröffentlicht.

Zu den Originalpublikationen:

  • wegovy
  • Ozempic
  • cochrane
  • adipositas
  • studie
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