Corona war auch eine Antibiotika-Schleuder

Als die Pandemie ausbrach, verschrieben die Schweizer Ärztinnen und Ärzte schlagartig massiv mehr Antibiotika.

, 18. Dezember 2023 um 13:46
image
Symbolbild: Nastya Dulhiier on Unsplash
In der ersten Coronawelle 2020 griffen die Ärzte vermehrt zu Antibiotika – obwohl diese bekanntlich nichts nützen gegen Viren. Dies besagt eine Studie, die von einem Team der Universität und des Universitätsspitals Basel erarbeitet wurde.
Wie die Forscher um Heiner Bucher vom Departement Klinische Forschung berichten, verdoppelte sich der Einsatz von Antibiotika von rund 8 auf 16 Antibiotika-Verschreibungen pro hundert Konsultationen.
Dieser Anstieg zeigte sich während der ersten Sars-CoV-2-Welle zu Jahresbeginn 2020 – und danach blieben die Antibiotika-Verschreibungen ab Frühjahr für das ganze Jahr auf überdurchschnittlichem Niveau. Dies im Vergleich zu den Vorjahren 2017 bis 2019.
  • Soheila Aghlmandi, Florian S. Halbeisen, Pascal Godet, Andri Signorell, Simon Sigrist, Ramon Saccilotto, Andreas F. Widmer, Andreas Zeller, Julia Bielicki, Heiner C. Bucher: «Impact of the COVID-19 pandemic on antibiotic prescribing in high-prescribing primary care physicians in Switzerland», in: «Clinical Microbiology and Infection», Dezember 2023.
  • doi: 10.1016/j.cmi.2023.11.010
Die Forscher hatten ihre Studie bereits 2017 begonnen – im Rahmen eines Nationalfondsprogrammes zur Erforschung antimikrobieller Resistenz. Grundlage waren einerseits Abrechnungsdaten, andererseits anonymisierte Patientendaten von über zwei Millionen Personen aller Altersgruppen. Wie sich die Coronapandemie auf die Verschreibungspraxis auswirkte, untersuchten die Forschenden mit Fokus auf 2'945 Allgemeinmedizinerinnen und Kinderärzte, die in den Vorjahren bereits eine mittlere bis hohe Rate an Antibiotikaverschreibungen aufwiesen.
Die massiv erhöhte Verschreibungspraxis zeigte sich für alle Antibiotikaklassen – auch für solche, welche primär nicht zur Behandlung von Atemwegsinfekten vorgesehen sind.

Mehr Bluttests

Die erhöhte Verschreibungspraxis war nicht etwa auf mehr «Blindverschreibungen» – zum Beispiel durch Telefonkonsultationen – zurückzuführen. Der Grossteil der Rezepte wurde bei Konsultationen in der Praxis ausgestellt. Auch führten die Ärzte mehr Bluttests für einen Entzündungsnachweis in ihren Praxen durch.
Am ehesten sei der massive Anstieg an Verschreibungen wohl mit der Sorge zu erklären, dass es bei einer Covid-19-Infektion zusätzlich zu bakteriellen Komplikationen kommen könnte, vermuten die Wissenschaftler in Basel. Auch der Mangel an Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gegen Covid-19 könnte in jener Phase eine Rolle gespielt haben.
Ein Fazit: «In der Vorbereitung auf künftige Pandemien müssen wir den zu erwartenden massiven Antibiotikagebrauch mit geeigneten Massnahmen wie gezielten Informationsstrategien einschränken, um unnötige Verschreibungen und das Risiko von Resistenzen zu reduzieren», so Heiner Bucher.
Das Forschungsteam will nun untersuchen, ob sich die Verschreibungspraxis in den Folgejahren der Pandemie erneut verändert hat.
  • Covid
  • Antibiotika
  • immunologie
  • medikamente
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Covid: Eine Patentlösung für Pflegeheime gab es nicht

Die Pflegeheime standen in der Pandemie an vorderster Front. In Genf ging nun eine Studie der Frage nach: Was hätten sie besser machen können?

image

Covid: Die Schweiz machte es gut – aber Schweden war besser

Die Schweiz verlor rund 140’000 Lebensjahre wegen der Pandemie: Ein internationales Forscherteam hat die Verluste von Covid-19 in Europa neu berechnet.

image

Medikamente: Wo Europas Verteidigung auf der Kippe steht

Antibiotika, Anästhetika, Thrombolytika: Ohne sie bricht auch die Sicherheit eines Landes zusammen. 11 Gesundheitsminister fordern deshalb jetzt eine Arzneimittel-Offensive – mit Verteidigungsgeldern.

image

Swissmedic kennt bereits heute stark vereinfachte Zulassungsverfahren

Warum nicht die Zulassung von patentabgelaufenen Arzneimitteln vereinfachen? Weil es nichts bringt.

image

Seltene Krankheiten: Mehr Zulassungen, aber wenig Zusatznutzen bei Orphan Drugs

Über die Hälfte der neuen Medikamente bieten keinen echten Fortschritt. Und kaum je schaffen sie neue Lösungen für seltene Erkrankungen ohne Behandlungsmöglichkeiten.

image

BAG: Whistleblowing-Plattform soll Missstände aufdecken

Integrität, Transparenz, Weitergabe von Vorteilen: Das Bundesamt für Gesundheit betreibt neu eine Whistleblowing-Plattform, um Verstösse zu melden.

Vom gleichen Autor

image

Prio.Swiss: Felix Gutzwiller sucht seinen Nachfolger

Der jungre Kassenverband Prio.Swiss besetzt das Präsidium neu – auf Anfang 2026. Und mit einer 30- bis 40-Prozent-Stelle.

image

Kantonsspital Aarau: Neuer Bereichsleiter Chirurgie

Jan Plock übernimmt die Bereichsleitung nach der Pensionierung von Mark Hartel.

image

Bern will digitale Einheit: KIS Epic soll Standard werden

Die Berner Kantonsregierung will mit einer einheitlichen digitalen Gesundheitsplattform die Spitäler vernetzen – ausgehend von der Insel Gruppe.