Anerkennung und Wertschätzung sind nicht käuflich

Gesundheitsökonom Heinz Locher über Chancen und Risiken bei der Umsetzung der Pflegeinitiative.

, 11. März 2023 um 05:03
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Heinz Locher: «Die eigentliche Arbeit beginnt am Tag nach dem Urnengang». | zvg
Die Umsetzung der Pflegeinitiative erfolgt bekanntlich in den zwei Etappen «Ausbildungsoffensive» und «Arbeitsbedingungen/ Berufskompetenzen». Beide Inhalte sind miteinander verbunden. Die Wirkungen der Ausbildungsoffensive werden verpuffen, wenn die von den Betroffenen erlebte Berufsrealität nicht grundlegend verändert wird. Während die Kredite zur Finanzierung der Ausbildungsoffensive in den Eidgenössichen Räten recht locker beschlossen wurden, hält sich der Eifer hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Grenzen. Bahnt sich gar ein Ablasshandel an, nach dem Motto des Ablasspredigers Johann Tetzel: «Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt»?
Anerkennung und Wertschätzung leben, kann – im Unterschied zur Kreditgenehmigung - anstrengend werden und an die Substanz gehen, geht es doch um Wesentliches: Werthaltungen, das Machtgefälle zwischen Berufsgruppen, den Umgang mit Fehlern, um nur einige Beispiele zu nennen.

«Anerkennung und Wertschätzung leben, kann – im Unterschied zur Kreditgenehmigung - anstrengend werden und an die Substanz gehen.»


Aber auch die äusseren Voraussetzungen für eine am Patientenwohl und der Berufszufriedenheit orientierte Arbeitssituation müssen stimmen, zum Beispiel eine angemessene Personaldotation oder vernünftige, frühzeitig bekannt gegebene Dienstpläne.
Schliesslich müssen auch die finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit das wirtschaftliche Überleben der Unternehmungen gewährleistet ist. Bezogen auf die Pflege kommt dabei der «Tariffähigkeit» eine besondere Bedeutung zu, weil der pflegerische Aufwand nicht unbedingt parallel zur medizinischen Komplexität verläuft, auf welche Fallpauschalen primär basieren. Für die heute praktizierte systematische Untertarifierung im Spitalbereich gibt es zudem endgültig keine Legitimation mehr, Gesundheitspolitik darf nicht zu blosser Sparpolitik verkommen.
In Anbetracht der in erheblichem Masse eingesetzten öffentlichen Mittel ist eine periodische Evaluation der Umsetzung unabdingbar. Hauptkriterien sind einerseits die Zahl der Ausgebildeten, zum andern die Dauer der Berufsausübung, kumuliert über alle Phasen des Arbeitslebens, differenziert nach Berufsgruppen und Einsatzgebieten. Besondere Beachtung gebührt dem Altersbereich, der vor der Herausforderung steht, den 18 Jahrgängen des unmittelbar bevorstehenden Baby-Boomer-Ü80-Booms gerecht zu werden.
Das Beispiel zeigt, dass eine noch so hoch gewonnene Volksabstimmung keine Gewähr für deren Umsetzung gibt. Die eigentliche Arbeit beginnt am Tag nach dem Urnengang.
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