Mit dem Elektronischen Patientendossier ist es so eine Sache: Viele Menschen finden es prima, sagen sie. Aber wenn es um die Nutzung geht, lassen sie es lieber bleiben.
Auf einen ähnlichen Widerspruch stiessen jetzt zwei Arbeitswissenschaftler der Technischen Universität Berlin: Das EPD ausfüllen? Gern. Aber gleich mit all meinen Gebresten? Besser nicht.
Konkret fanden Niklas von Kalckreuth und Markus A. Feufel heraus, dass auch im elektronischen Leben eine Neigung besteht, schambehaftete Krankheiten zu verschweigen, sie also nicht ins EPD einzutragen. Mit der Folge, dass die Akte sehr vieler Patienten letztlich einen Bias haben wird – ein Phänomen, dessen sich die Gesundheits-Fachleute bewusst sein sollten.
Die Forscher der TU Berlin untermauerten dies mit einem kleinen Experiment: Dabei wurden 241 Testpersonen gefragt, ob sie eine Reihe von Krankheiten in ihr EPD eintragen würden: Diabetes 1, Diabetes 2, gebrochenes Handgelenk, Depressionen, Gonorrhoe…
Es waren teils akute Beschwerden, teils chronische Leiden. Auf dieser Ebene allerdings zeigte sich kein greifbarer Graben: Die «Auflade-Quote» war gleich.
Deutlich wurde dann aber der Unterschied zwischen Testpersonen, die stigmatisierte Krankheiten in ihr EPD einpflegen sollten (Tripper), und Testpersonen, deren zugewiesene Probleme neutral fürs soziale Ansehen und Empfinden sind (gebrochenes Handgelenk).
Konkret speicherten 93 Prozent der Testpersonen, denen Diabetes Typ 1 attestiert wurde, ihre Diagnose. Bei der Handgelenks-Fraktur betrug die Quote 85 Prozent. Deutlich tiefer waren dann die Werte bei Gonorrhoe (67 Prozent) und vor allem bei der Depression (55 Prozent).
Es scheint also, dass man lieber vorsichtig ist bei Diagnosen, die im Berufsleben nachteilig sein könnten; oder die das Ansehen eher ankratzen.
Es geht um die Security
Was sind die Konsequenzen? Niklas von Kalckreuth und Markus A. Feufel sichten vor allem ein gehöriges Misstrauen: Denn weshalb will man seine Geschlechtskrankheit nicht im EPD haben? Weil man befürchtet, dass es Unbefugte dort entdecken.
Und warum befürchtet man das? Weil man der Sicherheit misstraut. Das Berliner Experiment testete letztlich den Glauben an den Datenschutz.
Auch daraus dürfte sich erklären, dass drei von vier Menschen in Deutschland sagen, dass sie die elektronische Patientenakte möchten, aber kaum jemand sie dann eröffnet.
«Selbst wenn Patienten im Allgemeinen beabsichtigen, die elektronische Patientenakte zu nutzen, können Risikowahrnehmungen – etwa im Zusammenhang mit Krankheiten, die mit sozialer Stigmatisierung einhergehen – die Menschen abhalten, solche medizinische Berichte in die elektronische Patientenakte hochzuladen», so ein Fazit der Studie: «Um den zuverlässigen Einsatz dieser Schlüsseltechnologie in einem digitalisierten Gesundheitssystem zu gewährleisten, sind transparente und leicht verständliche Informationen über die Sicherheitsstandards des EPD flächendeckend erforderlich, auch für Bevölkerungsgruppen, die den Einsatz des EPD grundsätzlich befürworten.»