Studie: Fast jede Pflegeperson erlebt sexuelle Belästigung

Laut einer aktuellen Studie erlebt 95,6 Prozent des Pflegepersonals sexuelle Belästigung. Mehr als zwei Drittel der Befragten waren körperlichen Übergriffen ausgesetzt.

, 2. Mai 2023 um 07:56
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Am häufigsten wird das Pflegepersonal mit unangebrachten Sprüchen konfrontiert
Milena Bruschini absolvierte als 14-Jährige einen Schnuppertag in der Pflege und wurde mit einem sexuellen Übergriff durch einen Patienten konfrontiert. Sie vertraute sich damals ihrer Betreuerin an, die den Vorfall jedoch bagatellisierte und meinte, dass es der Patient bestimmt nicht so gemeint hat. Für die heute diplomierte Pflegefachfrau und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ein prägendes Erlebnis, dem sie sich nun, viele Jahre später, in ihrer Studie «sexuelle Belästigung in der Pflege» widmet.

Auch Pflegefachmänner erleben Belästigung

Dazu hat sie über 250 Fragebogen ausgewertet, rund neunzig Prozent der Teilnehmenden waren Frauen. Die Resultate sind erschreckend: 95,6 Prozent des befragten Pflegepersonals zwischen 18 und 58 Jahren haben allein in den zwölf Monaten vor der Befragung sexuelle Belästigungen oder Übergriffe durch Patienten erlebt. Je jünger die Befragten, desto häufiger die Vorfälle. Und nicht nur Pflegefachfrauen, auch Pflegefachmänner erleben Belästigungen: anzügliche Sprüche, genauso wie Kommentare, die ihre Identität als Mann oder ihre Sexualität infrage stellen: «Sind Sie schwul oder was?»

Nummer eins: unangebrachte Sprüche

Am häufigsten wird das Pflegepersonal mit unangebrachten Sprüchen konfrontiert, gefolgt von nonverbalen Belästigungen wie lüsternen Blicken. Mehr als zwei Drittel der Befragten waren aber auch körperlichen Übergriffen ausgesetzt – sie wurden am Po angefasst, an der Brust berührt, am Rücken gestreichelt, an die Wand gedrückt.

Höhere Zahlen als bei ähnlichen Studien

Die Zahlen sind im Vergleich zu ähnlichen Befragungen deutlich höher ausgefallen. Gegenüber dem «Tagesanzeiger» (Abo) erklärt Milena Bruschini das damit, dass in ähnlichen Studien häufig das gesamte Gesundheitspersonal befragt würde, also auch Ärztinnen und Ärzte, die seltener von Patienten belästigt würden. Zudem habe sie konkrete Verhaltensweisen abgefragt wie etwa 'Hat Ihnen jemand ein sexuelles Kompliment gemacht? Sind Sie in einer Form angefasst worden, die sich für Sie nicht richtig angefühlt hat?' Möglicherweise hätten sich dadurch mehr Personen angesprochen gefühlt als von der pauschalen Frage: Wurden Sie sexuell belästigt?

Leitfaden zum Umgang mit sexueller Belästigung

Aus eigener Erfahrung weiss Bruschini, dass Pflegefachpersonen oft in einem Dilemma sind, wenn Patienten übergriffig werden. Belästigungen würden häufig verharmlost und übergriffige Personen in Schutz genommen. Nur gerade 17 Prozent der Studien-Teilnehmenden gab an, ein Training zum Thema sexuelle Übergriffe bekommen zu haben. Ebenso würden sexuelle Verhaltensweisen mit zunehmenden Berufsjahren als weniger bedrohlich empfunden oder gar nicht mehr wahrgenommen werden. Resultate, die den Berufsverband SBK überraschen. Bereits vor einigen Jahren haben sie den Leitfaden «Verstehen Sie keinen Spass, Schwester?» herausgegeben; zudem können sich Betroffene beim Verband beraten lassen.

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