Steckt im Tarmed eine Milchmädchen-Rechnung?

Der bürokratische Zusatzaufwand für die Ärzte soll deutlich höher liegen als die gesamten Einsparungen durch das neue Paket.

, 4. Oktober 2017 um 08:12
image
  • tarmed
  • praxis
In der Tarmed-Vernehmlassung wurde Alain Berset für die geplanten Zeit-Guillotinen bekanntlich heftig kritisiert. Der Gesundheitsminister kam der Kritik entgegen, indem er unter anderem die Möglichkeit schuf, dass die Standardkonsultation bei Patienten mit komplexen Erkrankungen auch länger als 20 beziehungsweise 30 Minuten dauern darf – in Absprache mit der Krankenkasse.
Was als Kompromissvorschlag erscheint, wurde von vielen Ärzten rasch als bürokratische Zusatzbelastung empfunden: eine mehr. Die «Neue Zürcher Zeitung» ging nun dieser Problematik nach und stiess auf übergreifende Kritik; sie fand sich sowohl bei den Spitälern («bürokratischer Unsinn», Conrad Engler von H+) als auch bei den Kassen («fatale Fehlregulierung», Pius Zängerle, Curafutura) als auch bei den Ärzten («in der Praxis nicht umsetzbar», Jürg Schlup, FMH).

  • Zum ganzen Beitrag: «Ärztetarif könnte zum Eigentor werden», NZZ, 4. Oktober 2017.

Interessant sind dabei die Versuche, den anrollenden Zusatzaufwand in Zahlen zu fassen. H+ erwartet, dass in den Spitälern pro Jahr von 2,5 Millionen solcher Kostengutsprachen für Patienten nötig werden. Und dass dasselbe Volumen an Kostengutsprachen nochmals in den Arztpraxen entsteht. «Sehr konservativ gerechnet kostet jede Transaktion mit einem zeitlichen Aufwand von 10 bis 15 Minuten je rund 75 Franken bei den Leistungserbringern und Versicherern», rechnet Conrad Engeler in der NZZ vor. 

Gibt es schlankere Lösungen?

Kurz: Insgesamt errechnet der Spitalverband nun Mehrkosten in der Höhe von 750 Millionen Franken pro Jahr. Das wären deutlich mehr als die 470 Millionen Franken, welche Alain Berset bekanntlich durch das neue Tarmed-Paket ab 2018 einsparen will. 
Das BAG widerspricht allerdings teilweise: Für die Abrechnung der zusätzlichen Minuten benötige der Arzt gar kein volles Kostengutspracheverfahren, sondern einfach eine Absprache mit dem Versicherer. «Das BAG drängt darauf, dass eine möglichst schlanke administrative Lösung gefunden wird», sagt ein Sprecher in der «Neuen Zürcher Zeitung».
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Dieser Arzt lebt seit 25 Jahren ohne Stuhl

Stühle seien gesundheitsschädlich, findet der Arzt Martin Oswald (73). Er meidet sie – um gegen Thrombosen, Verstopfung und Krampfadern vorbeugen.

image

ChatGPT beantwortet Patientenfragen genauso gut wie Augenärzte

Die Ophthalmologie könnte zu den Fachgebieten gehören, die durch Künstliche Intelligenz besonders viel neuen Schub bekommen.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

«Physioswiss weiss, dass die grosse Mehrheit der Praxen einwandfrei abrechnet»

Trick 7311: Der «K-Tipp» wirft Physiotherapie-Praxen vor, einen zu hohen Tarif abzurechnen. Physioswiss erklärt, was rechtens ist.

image

Bern: Physiotherapie gehört in die integrierte Versorgung

Das Berner Kantonsparlament spricht sich klar für eine Stärkung der Physiotherapie aus: Sie soll in die Notfallstationen integriert werden – und mehr Kompetenzen bekommen. Der Regierungsrat muss dies nun angehen.

image

So will ein Landwirt die Tarifpartner entmachten

Die Hausärzte und Hausärztinnen sollen per Gesetzesänderung besser gestellt werden, verlangt eine Motion: Die Tarifpartner seien dazu nicht in der Lage.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.