Googeln führt zur Unverträglichkeit von Medikamenten

Länder, in denen Patienten nach Cholesterinsenker googeln, haben gleichzeitig mehr Patienten mit Nebenwirkungen. Dies geht aus einer Studie aus Kanada hervor.

, 15. Mai 2018 um 14:25
image
  • forschung
  • ärzte
  • praxis
  • google
  • spital
Der fiese Zwillingsbruder des Placebo-Effekts heisst Nocebo. Ärzte tun gut daran, diesen Effekt stets im Hinterkopf zu behalten. Vor allem, wenn es darum geht, Patienten über Nebenwirkungen von Cholesterinsenkern zu informieren. Dies zumindest besagt eine aktuelle Studie, die im Fachmagazin «International Journal of Cardiology» im Sommer veröffentlicht wird.
Ein Forscherteam aus Toronto untersuchte in 13 Ländern auf fünf Kontinenten die Statin-Unverträglichkeit von Patienten. Die Zahlen über die Nebenwirkungen wie etwa Muskelbeschwerden lieferten Haus- und Fachärzte. Nach der Aufbereitung der Intoleranzraten verglichen die Wissenschaftler die Daten mit einem zweiten Parameter: die Anzahl der über die Google-Suchmaschine gefundenen Webseiten mit Informationen über die Auswirkungen der Cholesterinsenker.
Und siehe da: Es gab eine Korrelation zwischen höheren Raten von Patienten mit Nebenwirkungen und der Anzahl der verfügbaren Internetseiten mit Infos zu diesem Thema. Der Pearson-Korrelationskoeffizient zwischen diesen beiden Variablen betrug 0,868 – war also doch recht hoch. 
Sarah Khan, Anne Holbrook, Baiju R. Shah Does Googling lead to statin intolerance? (Abstract), in: «International Journal of Cardiology», Juli 2018.

Korrelation ist noch lange keine Kausalität

Der Zusammenhang war besonders in englischsprachigen Ländern wie Kanada, den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Australien festzustellen. Anders verhielt es sich in asiatischen und osteuropäischen Ländern: Dort war die Intoleranzrate niedriger – und entsprechend auch die Anzahl an Online-Informationen. Studienleiter Baiju Shah vom Sunnybrook Health Sciences Center in Toronto vermutet, dass die Verfügbarkeit von Informationen eine Rolle spielen könnte.
Klar: Nur weil sich zwei Datensätze ähnlich verhalten – also miteinander korrelieren – ist eine Ursache-Wirkung-Beziehung noch weit davon entfernt. Trotzdem zeigt die Studie, dass der durch Internet-Recherchen ausgelöste Nocebo-Effekt zur Statin-Intoleranz beitragen könnte.

Worte vernichten – Worte heilen

Obwohl die Psychologie hinter dem Nocebo-Effekt noch viele Unklarheiten aufweist, werfen die Forschungsergebnisse wieder einmal die Frage auf, ob die Offenlegung von Informationen über Nebenwirkungen tatsächlich die Gesundheit der Patienten schädigen könnte? Patienten, die Nebenwirkungen von Medikamenten kennen, könnten diese also eher erleben, wie die Studie andeutet.
Die Lösung liegt darin, wie diese Informationen übermittelt werden: Pharmafirmen und Ärzte sollten deshalb darauf pochen, Patienten besser auf den medizinischen Nutzen einer Behandlung als auf die möglichen Nebenwirkungen einzuschwören. Positiv formulierte Worte lenken die Erwartung: «Nach der Spritze wird es Ihnen besser gehen» statt «Achtung, die Spritze brennt». So gesehen sind Worte (fast) das mächtigste Werkzeug, über das die Medizin verfügt. 
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image
Gastbeitrag von André Plass

Eine unabhängige Anlaufstelle garantiert mehr Qualität

Unabhängige Qualitätskontroll- und Meldezentren fürs Gesundheitswesen könnten die Patientenversorgung stark verbessern.

image

Der Réseau de l'Arc reicht bald bis ins Tessin

Das neue Grundversorgungsmodell benötigt einen Wachstumsschub. Aber die Macher haben ein aktuelles Argument – die Krankenkassenprämien.

image

Arzt & Co.: Das Kinderarzthaus wird erwachsen

Die neu gegründete Firma Arzt & Co. eröffnet eine erste Hausarztpraxis in Baden. Sie ist ein Schwesterunternehmen der Kinderarzthaus-Gruppe.

image

KSA: Weiterer Abgang in der Geschäftsleitung

Sergio Baumann ist nicht länger beim Kantonsspital Aarau tätig: Der Betriebsleiter, der zeitweise als interimistischer CEO fungierte, hat sein Büro bereits geräumt.

image

Jede Notfall-Konsultation kostet 460 Franken

Notfallstationen werden immer öfter besucht. Eine Obsan-Studie bietet neue Zahlen dazu. Zum Beispiel: 777'000 Personen begaben sich dreimal in einem Jahr auf den Spital-Notfall.

image

Zürcher Krankenhäuser und Versicherer haben sich geeinigt

Nun ist ein jahrelanger Streit beendet: Die Zürcher Spitäler vereinbaren mit Helsana, Sanitas und KPT einen Taxpunktwert von 93 Rappen - ein Kompromiss.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.