Für die grünliberale St. Galler Stadträtin Sonja Lüthi ist es keine Überraschung: «Gewisse Wechsel sind bei einer Reorganisation immer zu erwarten», sagte sie gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Die Kündigungen in der Spitex würden sich auf einem branchenüblichen Niveau bewegen.
Andere sind weit besorgter darüber, dass in der neu fusionierten Spitex St. Gallen seit Januar gleich 22 Mitarbeitende gekündigt haben. Insgesamt hat das Unternehmen 140 Angestellte.
Die andere Pflegephilosophie
Stein des Anstosses in der neuen Spitex - ein Zusammenschluss der ehemals vier unabhängigen Spitexvereine West, St.Gallen Ost, Centrum-Notker und Centrum Stadt – ist eine andere Pflegephilosphie, die offenbar in der neuen Organisation Einzug gehalten hat. Es gehe nicht mehr um die Klienten, sondern ums Geld, kritisieren Mitarbeitende.
Konkret: Diplomierte Pflegefachpersonen sollen nicht mehr die Grundversorgung eines Klienten übernehmen. Duschen und Anziehen sollen Pflegeassistenten erledigen. Medikamentenausgabe und Wundversorgung ist künftig Sache der Fachpersonen Gesundheit. Den diplomierten Pflegefachpersonen bleibt die beratende Funktion.
Bisher erledigten Diplomierte alles selber
Das ist tatsächlich ein Wechsel der Abläufe. Bisher haben die Diplomierten die Klienten auch geduscht, angezogen und umfassend versorgt – und dabei auch gleich das gesundheitliche und psychische Wohlergehen geprüft.
Für manche Spitex-Mitarbeiterin ist es nun schwierig, nicht mehr allein zu ihren Klienten zu schauen. Besonders betroffen von der Kündigungswelle ist der ehemalige Spitex-Standort St.Gallen Ost. Dort haben 14 Mitarbeitende die Kündigung eingereicht.
Gibt es so schnell Ersatz?
Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin des Schweizerischen Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und -männer der Sektionen St.Gallen, Appenzell und Thurgau, ist besorgt: Sie befürchtet, dass so viele Mitarbeitende nicht so schnell ersetzt werden könnten.
Die SP-Politikerinnen Maja Dörig und Alexandra Akeret, letztere ist Gewerkschaftssekretärin beim Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Ostschweiz, wollen im Stadtparlament eine Interpellation einreichen zur Kündigungswelle. Sie haben Verständnis dafür, dass sich die Spitex auch betriebswirtschaftlich orientieren müsse und nicht nur pflegerisch-sozial. Aber Menschlichkeit und Geld müssten sich die Waage halten.
Schon 18 neue Mitarbeitende gefunden
Dass die Abgänge zu einer Versorgungslücke bei der St. Galler Spitex führen könnten, verneint Michael Zellweger, Geschäftsleiter der Spitex St. Gallen: Die Spitex-Versorgung sei sichergestellt. Die Anstellung neuer Fachkräfte laufe, bisher seien 18 Mitarbeitende rekrutiert worden, sagte er gegenüber dem «St. Galler Tagblatt».
Stadträtin Sonja Lüthi hat Verständnis für die Probleme in der neuen Spitex. Es sei anspruchsvoll, vier sehr unterschiedliche Betriebe mit ihren Kulturen unter einem Dach zusammenzuführen, sagte sie – und hofft, dass die Geschäftsleitung mit den verbliebenen Mitarbeitenden einen guten Weg finden werde.