Milchmädchenrechnung bei Medikamentenpreisen

Wenn zwei Drittel der verkauften Arzneimittel-Packungen nur wenig kosten: Wo kann man dann sparen?

, 6. Oktober 2017 um 14:38
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Wer ist schuld an den immer höheren Prämien? Ein Hauptangeklagter in der allgemeinen Debatte ist bekanntlich die Pharmabranche, oder genauer: die Medikamentenpreise. Oder noch genauer: Mehr und mehr fokussiert eine breite Öffentlichkeit auf die superteuren neuen Arzneien, insbesondere in der Krebstherapie. Auch dieses Jahr wurden diese Mittel im Nachgang zur Prämien-Ankündigung wieder thematisiert (etwa hier), wenngleich etwas zurückhaltender als in den Vorjahren.
Zurecht? Auf den ersten Blick scheint klar: Medikamente sind ein Faktor beim Prämienanstieg. Sie waren der viertwichtigste Prämien-Treiber des letzten Jahrzehnts. Für eine neue Ordnung in den Köpfen will aber der IFAK-Verein sorgen – also die Organisation der unabhängigen Apotheken. Präsident Claus Hysek ging nun ins Detail und machte eine Unterscheidung nach Preisklassen. 
Die Überlegung: Wer ernsthaft nach Sparpotential suchen will, müsste sich logischerweise zuerst mal fragen, wo bei den Medikamenten-Kosten die schweren Brocken sind. Und welche Arzneien andererseits so marginale Kosten verursachen, dass man sie einfach mal vergessen könnte.

IFAK Verein: «Fakten und Analysen zum Medikamenten-Markt zu Lasten der Krankenversicherungen: Darum laufen Preissenkungen in die Sackgasse», September 2017.

Genau hierzu gibt es jetzt Antworten. Die IFAK-Analyse unterteilte die Medikamente der Spezialitätenliste in sechs Preisklassen. Das Ergebnis war klar: Viele Medikamente verursachen noch lange nicht viel Kosten. Konkret:

  • 63 Prozent der in der Schweiz verkauften Medikamente sind in den tiefsten Preiskategorien; ihre Fabrikabgabepreise liegen bei 15 Franken pro Packung. Ihr Anteil an den gesamten von den Krankenkassen vergüteten Medikamenten erreicht 16 Prozent. Anders formuliert: Bei den allermeisten verkauften Arzneien – rund zwei Drittel – liesse sich eigentlich kaum etwas sparen.
  • Knapp zwei Drittel der Kosten entfallen auf die Medikamente in der Preisliga ab 15 Franken – respektive bis 880 Franken. Mengenmässig machen sie aber nur einen Drittel der verkauften Packungen aus.
  • Die teuersten Mittel mit einem Packungspreis über 880 Franken machen zusammen nur 0,6 Prozent der verkauften Medikamente aus – gemessen an der Menge. Sie verursachen aber 23 Prozent der Kosten. 

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Medikamentenvergleich: Preisklassen — Anzahl Packungen — Warenwert |  Quelle/Daten: IFAK Verein
Pharmazeut Claus Hysek weist insbesondere darauf hin, dass bei dieser Gruppe die massivste Preissteigerung messbar wird. Insbesondere bei den teuersten Medikamenten mit Packungspreisen ab 2570 Franken war der Fall klar – sie verursachten letztes Jahr um 67 Prozent mehr Kosten als noch 2014.
Zum Vergleich: Bei den günstigsten Arzneien lag der Anstieg deutlich tiefer, nämlich zwischen 8,1 Prozent und sogar einem Rückgang von 2,7 Prozent (in der Preisklasse 11 bis 15 Franken).

Die ethische Frage

Was zeigt uns das? Es suggeriert, dass wir vielleicht etwas viel über Auslandspreis-Vergleiche reden, während wir schwere ethische Fragen eher vermeiden – sowohl bei seltenen Krankheiten wie auch bei Onkologika in den Raum. Also Fragen wie: Soll man gewisse Mittel, die ein bisschen Hoffnung machen, wirklich auf die Spezialitätenliste setzen?
Andererseits wird schon auch spürbar, dass in der Mitte der Preisverteilungskurve vielleicht auch noch Potential liegt. Wie Santésuisse jüngst feststellte, beträgt der durchschnittliche Publikumspreis für neue Medikamente pro Packung mehr als 330 Franken – vor zehn Jahren waren es noch 185 Franken. In der «Bilanz» führte der Kassenverband auch das Vergleichsbeispiel des Reflux-Mittels Pantoprazol an: In der Schweiz kostet es über 60 Franken (es liegt also im mittleren Bereich der erwähnten Auswertung). In den Niederlanden ist ein identisches 105-Tabletten-Paket für umgerechnet 3,15 Franken zu haben.
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