«Impfen ist ein Eingriff in die körperliche Integrität»

Die Impfquote beim Pflegepersonal ist bekanntlich miserabel. Ein Grund dürfte darin liessen, dass die Wirksamkeit der Influenza-Impfung nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Im letzten Jahr lag sie unter 50 Prozent.

, 28. Januar 2019 um 21:36
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Weniger als 30 Prozent der Pflegenden lassen sich gegen den Grippevirus impfen. Warum so wenig? Laut Sabina Heuss, Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), ist die Antwort auf diese Frage bei der Kommunikation zu suchen (Medinside berichtete).
«Die aktuellen Kommunikationskampagnen zu einer verbesserten Durchimpfungsrate bewirken oft eine Schuldzuweisung der nichtgeimpften Berufsgruppen», ist Sabina Heuss überzeugt. Das sei kontraproduktiv.
Roswitha Koch sieht das ähnlich. «Die Bundesverfassung garantiert in den Grundrechten die körperliche und geistige Unversehrtheit. Impfen ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, und dafür braucht es die Einwilligung der Betroffenen», erklärt die Leiterin der Abteilung Pflegeentwicklung beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). 

Empfehlung statt Zwang

Der SBK empfiehlt seinen Mitgliedern, sich impfen zu lassen. Der Branchenverband folgt damit den Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Wichtig sei aber, so Koch, dass es bei einer Empfehlung bleibe und dass kein Zwang damit verbunden sei.
Roswitha Koch sieht neben der verfehlten Kommunikation noch andere Gründe. «Die Influenza-Impfung ist sehr kompliziert, muss alle Jahre erneuert werden und erzeugt eine im Vergleich zu anderen Impfungen beschränkte Wirkung.» Die Virenstämme würden sich dauernd verändern. Die Wirksamkeit der letztjährigen Grippe-Impfung erzielte gerademal eine Wirksamkeit von 25 bis 52 Prozent.

Kein Vergleich mit Tetanus oder Polio

So gesehen kann man laut Koch eine Influenza-Impfung in keiner Weise mit einer Tetanus- oder Polio-Impfung vergleichen. Die Polio-Impfung, die man im Kindesalter verabreicht bekommt, hat eine lebenslängliche Wirksamkeit von 95 Prozent; die Tetanus-Impfung mit einer Wirkungsdauer von mindestens zehn Jahren kommt auf eine Wirksamkeitsrate von 76 bis 90 Prozent.
Die vergleichsweise beschränkte Wirkung ist auch Pflegefachpersonen bekannt. «Generell sind Pflegefachpersonen sehr motiviert, ihre Patienten vor Ansteckungen zu schützen», ist Roswitha Koch überzeugt. 
Wie aber schon Sabina Heuss im Gespräch mit Medinside erklärte, schätzten die Pflegefachpersonen die Wirkung der eigenen Grippeimpfung geringer ein als andere Massnahmen wie Händehygiene und Maskentragpflicht. 
Eine Einschätzung, die nicht so falsch sein dürfte.  
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