Eine neue Ära in der Gesundheitsbranche

Durchbrüche in der Genom-Forschung, bessere Daten, präzisere Therapien: Wir durchleben revolutionäre Zeiten. Und dies ist erst der Anfang, schreibt Joseph Jimenez, der CEO von Novartis.

, 13. Januar 2016 um 08:04
image
  • trends
  • novartis
  • pharmazie
  • medikamente
Wir erleben derzeit eine Welle an Neuerungen im Gesundheitsbereich – sie verspricht, das intelligenteste, am besten vernetzte und effizienteste Gesundheitssystem zu schaffen, das die Welt je gesehen hat. Bahnbrechende neue Technologien und Therapien verwandeln den Alltag der Medizin, sie verändern die Erfahrungen der Patienten dramatisch, und sie schaffen die Voraussetzungen für noch mehr Durchbrüche.
Die Daten beweisen es. Letztes Jahr wurde die Rekordzahl von weltweit 61 neuen Medikamenten eingeführt, bei einem Jahresdurchschnitt von 34 im Jahrzehnt davor. Mehr als 40 Prozent dieser Mittel richteten sich gegen seltene oder schwierig zu behandelnde Krankheiten, darunter Hepatitis C, Meningitis und metastasierende Melanome. 
  • image

    Der Autor

    Joseph Jimenez ist seit 2010 Konzernchef von Novartis. Zuvor hatte er die Novartis-Divisionen Consumer Health und Pharmaceuticals geleitet. Der Kalifornier, geboren 1959, studierte an den Universitäten von Stanford und Berkeley

Und am Horizont sind weitere Durchbrüche absehbar. Es wird geschätzt, dass etwa 70 Prozent der Medikamente, die derzeit von der Pharmabranche entwickelt werden, potentielle «First in Class»-Behandlungen sind. Das heisst: Sie verwenden völlig neue Handlungsmechanismen im Kampf gegen eine Krankheit.
Die Innovationswelle erklärt sich aus drei Schlüsselfaktoren: der Möglichkeit, Therapien zu personalisieren; der Fähigkeit, neue Mittel rascher auf den Markt zu bringen; sowie einer engeren Kopplung von Medizin und Patienten.

Genetik: Unser Verständnis wird immer präziser

Zuerst einmal verbessern bedeutende Fortschritte in der Genomforschung – insbesondere bei der Erkenntnis, wie sich Krankheiten auf der genetischen Ebene manifestieren und entwickeln – unsere Fähigkeit, eine Krankheit in jeder Phase anzugreifen und die Erfahrung der Patienten zu verbessern. So deuten Markergene an, welche Patienten mit grosser Wahrscheinlichkeit von einem Wirkstoff profitieren können; dies wiederum verbessert die Ergebnisse und trägt zugleich dazu bei, dass Patienten die unangenehmen Nebenwirkungen unnötiger Behandlungen vermeiden können.
Zum Beispiel zeigen genetische Marker bei Brustkrebspatientinnen im Frühstadium, ob die Chemotherapie wohl anschlagen wird – oder ob eine reine Hormontherapie die bessere Option wäre. Ein neues Lungenkrebsmedikament, das mein Unternehmen Novartis entwickelt hat, wirkt ausschliesslich bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, die eine bestimmte genetische Mutation haben.
Die Nutzung des Genom-Wissens zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung steht erst am Anfang. Ein vielversprechendes Forschungsfeld ist CRISPR – ein hochmodernes Werkzeug, das uns erlauben könnte, jene Gene zu ersetzen oder zu reparieren, die eine Krankheit verursachen. Und weil unser Verständnis für die Eigenheiten der Erkrankung eines bestimmten Patienten immer präziser wird, wird auch die Behandlung immer effektiver – bei einem tieferen Risiko von Nebenwirkungen.

Daten: Die Abläufe werden immer schneller

Obendrein macht unser besseres Verständnis für Krankheiten auch den Prozess der Entwicklung von Wirkstoffen effizienter. Dies erlaubt es, Innovationen rascher auf den Markt zu bringen. So werden jetzt Gentests dazu eingesetzt, die Teilnehmer klinischer Versuche auszuwählen, was diesen Auswahlprozess verschnellert. Mit diesem Ansatz kann die Forschung für einen standardisierten Versuch bereits innert durchschnittlich drei Wochen beginnen – verglichen mit 34 Wochen zuvor.
Wenn man hier noch hinzufügt, dass wir heute Daten rascher analysieren und präzisere Entscheide über Dosierungen treffen können, so zeigt sich, dass der Zeitrahmen für klinische Studien erheblich kleiner geworden ist.
Schliesslich – drittens – helfen die Tools und Technologien zur Erfassung von Echtzeit-Daten, dass sich das Engagement und Therapietreue der Patienten verbessern; dies insbesondere bei jenen Menschen, die unter chronischen nichtübertragbaren Krankheiten leiden. Mit der Alterung der Weltbevölkerung steigt auch die Zahl der nichtübertragbaren Krankheiten – sie dürften bis im Jahr 2030 für 52 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich sein. Mehr als 80 Prozent der Todesfälle wegen dieser Krankheiten sind die Folge von chronischen Erkrankungen wie Kreislauf- und Atemstörungen, Krebs und Diabetes.

Technologie verbessert die Therapietreue

Nach Lage der Dinge ist die Nichtbeachtung von Medikationskuren ein Hauptproblem in der Behandlung nicht-übertragbarer Krankheiten. So haben in den USA jene Diabetespatienten, deren Therapietreue am tiefsten ist, ein 30prozentiges Risiko, innert eines Jahres hospitalisiert zu werden; bei den folgsamsten Patienten liegt die Quote bei 13 Prozent. Hierin liegen grosse Kosten für die Gesundheitssysteme – sie erreichen jedes Jahr etwa 200 Milliarden Dollar in den USA und 125 Milliarden Euro in der EU.
Dank Technologien, welche die Patienten stärker in die Pflicht für ihre Gesundheit nehmen und eine konsequentere Einhaltung der medikamentösen Behandlung ermöglichen, kann das Therapie-Management verbessert und können die Spitaleinweisungen reduziert werden – und die Kosten sinken.
Die heutigen Fortschritte im Gesundheitsbereich verdanken viel den neuen Genominformationen, der Verfügbarkeit von Big Data, gezielteren und individuelleren Therapien sowie den intelligenteren und vernetzteren Liefersystemen. Und sie sind nur der Anfang. Weitere Durchbrüche – ermöglicht durch den Zusammenschluss von Wissenschaft und Technologie – dürfen erwartet werden, insbesondere wenn unkonventionelle Partner in den Gesundheitsbereich eindringen. In dieser Entwicklung werden Partnerschaften von Gesundheits- und Technologie-Firmen zunehmend wichtig.
Es ist eine aufregende Zeit für das Gesundheitswesen, mit vielen revolutionären Neuerungen am Horizont. Das sind sehr gute Nachrichten, für Patienten und Versorger zugleich.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image
Gastbeitrag von Andri Silberschmidt

Pharma: Es braucht einen Ruck – und mehrere Kompromisse

Derzeit berät das Parlament über eine Reihe von Fragen, die für unsere Medikamentenversorgung entscheidend werden.

image

Krebsforschung ist besorgt, weil Spenden zurückgehen

Bisher hatte die Krebsforschung in der Schweiz genug Spendengeld für Forschungsprojekte. Letztes Jahr musste sie aber zu viele zurückweisen.

image

In Konstanz kriegt man mehr aktuelle Arzneimittel als in Kreuzlingen

Geht es um den Zugang zu neuen, innovativen Medikamenten, so liegt die Schweiz auf Rang 6 in Europa. Bei den Medikamenten gegen seltene Krankheiten liegt sie auf Rang 9.

image

Bundesrat: Fünf Schritte gegen Medikamenten-Engpässe

Unter anderem prüft die Landesregierung befristete Import-Zulassungen, einfachere Bewilligungen oder den Verzicht auf Wirtschaftlichkeits-Prüfungen.

image
Gastbeitrag von Niklaus Meier und Katharina Blankart

Arzneimittelpreise: Das Swiss Drug Pricing Model könnte Klarheit schaffen

Ein neues Modell hilft, für neue Medikamente den angemessenen Preis zu ermitteln – und so den Verhandlungspartnern Orientierung zu bieten. Die Basis: Effizienz und Evidenz.

image

Pharmafirma streicht in Basel 150 Stellen

Das deutsche Pharma-Unternehmen Bayer baut an ihrem Standort in Basel 150 von rund 1000 Stellen ab. Nicht ganz überraschend.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.