«Die Ärzte wundern sich, wie rasch die Patienten zur Online-Buchung wechseln»

In der Schweiz gibt es eine neue Ärzte-Buchungsplattform: Doctena. Man kann dort Termine vereinbaren – aber die Patienten können die Praxen nicht beurteilen, es gibt keine Sternchen. Warum? Antworten von Doctena-Schweiz-Chef Stefan Keller.

, 5. September 2016 um 06:51
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Herr Keller, wieso braucht es in der Schweiz eine weitere Ärzte-Buchungsplattform?
Vielleicht ist der Wunsch der Patienten, ihre Arzttermine online zu buchen, noch nicht überall in den Köpfen präsent – aber der Bedarf ist da. Es gibt Untersuchungen, wonach in wenigen Jahren 30 bis 40 Prozent der Termine online gebucht werden. 
Es gibt aber auch schon allerhand Buchungsplattformen.
Das ist richtig, wobei sich nur wenige spezifisch auf Ärzte konzentrieren. Und es gibt den Bedarf nach einer zentralen, grossen Plattform, wo man eine Vielzahl von Ärzten in seiner Nähe findet. Welche der derzeit im Aufbau befindlichen Plattformen sich festigen wird, steht heute nicht fest. Aber Doctena wird die online Terminbuchung in der Schweiz aktiv mitgestalten und eine der führenden Plattformen sein – voraussichtlich die führende.
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    Stefan Keller

    Stefan Keller ist CEO von Doctena Switzerland GmbH. Die Buchungs-Plattform für selbstständige Ärzte und für Patienten ist seit kurzem in der Schweiz aktiv. Sie gehört zu einer Unternehmensgruppe, die bereits Doctena-Plattformen in Luxemburg, Belgien und Holland betreibt. — Keller hat ein Ingenieurs-Diplom der ETH Zürich und einen MBA von Insead. Vor seinem Engagement bei Doctena arbeitete er unter anderem bei einem Schweizer Grosskonzern, als Geschäftsführer einer Werft in Spanien und als Gründer der Spiele-Vermittlungsplattform Ludobox.

Als Arzt steht man jetzt also vor der Frage, auf wen man setzen soll. Es gibt mehrere solcher Angebote, aber es ist völlig unklar, welche sich am Ende durchsetzen wird.
Das ist richtig. So wie man beim Autokauf verschiedene Optionen hat, gibt es das auch hier. Ein wichtiger Aspekt ist bei der Wahl neben dem Produkt selber sicherlich die langfristige Verfügbarkeit des Produktes. Andererseits schliesst das eine Angebot nicht unbedingt das andere aus – so wie Hotels auf mehreren Plattformen buchbar sind, können auch Ärzte auf mehreren Plattformen online Termine anbieten.
Warum also wird sich Doctena durchsetzen?
In den bisherigen Märkten sind wir sehr erfolgreich. Wir haben eine sehr hohe Penetrationsrate, in Luxemburg beispielsweise finden Sie etwa 20 Prozent der Ärzteschaft bei Doctena. Das heisst, wir haben ein Konzept, das sich bereits bewährt hat. Zudem sind wir sehr stark darauf fokussiert, den Buchungsvorgang einfach zu gestalten – einfach nicht nur für den Patienten, sondern auch für die Praxen. Ich kann als Arzt meinen Patienten also eine sehr unkomplizierte Form der Buchung anbieten und gleichzeitig meine eigenen Prozesse optimieren.
Doctena wurde 2013 gegründet und ist heute in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden aktiv. In diesen Ländern ist es Marktführer unter den Ärztebuchungsplattformen. Im Dezember letzten Jahres meldete das Unternehmen eine Kapitalerhöhung von 4,5 Millionen Euro, um weitere Märkte zu erschliessen, darunter insbesondere die Schweiz.
«Wir wollen sicherstellen, dass jeder Patient einen Doktor treffen kann, ohne das Telefon abzunehmen», erklärte Doctena-Gründer Patrick Kersten damals. «Heutige Patienten wollen mit drei Klicks einen Arzt finden und einen Termin buchen.» 
Viele Ärzte sehen vermutlich einen anderen Hauptvorteil: Bei Doctena gibt es keine Sternchen. Es ist nicht zugleich eine Bewertungs-Plattform.
So ist es. Wir haben uns entschieden, dass wir uns auf den Buchungsprozess konzentrieren wollen.
Die Patienten würden die Sternchen aber sicherlich schätzen.
Arztbewertungen sind nicht gänzlich unumstritten. Es gab zum Beispiel in Deutschland vor kurzem einen Rechtsstreit, wo ein Arzt erfolgreich verlangte, eine Beurteilung zu löschen, weil der Patient gar nie da war. Am Ende kann ich als Patient zwar beurteilen, ob die Praxis schön ist oder ob ich gut empfangen wurde. Aber die medizinische Leistung selber ist nur sehr schwer einzuschätzen.
Konkret: Was bezahlt eine Schweizer Arztpraxis für einen Auftritt und eine Buchungs-Präsenz bei Doctena?
Wir bieten unsere Dienstleistungen für pauschal ab 149 Franken pro Monat an, wobei es auf die ausgewählte Serviceleistung ankommt. Mit einem Fixpreis weiss der Arzt genau, welche Auslagen er budgetieren kann. Wohlgemerkt bieten wir Mengenrabatte für Gemeinschaftspraxen und Gruppen an. Zur Zeit haben wir als Neuanbieter in der Schweiz sehr interessante Einführungsofferten.
Welche Services meinen Sie da zum Beispiel? Was steht zur Auswahl?
Etwa den Import von Patientenlisten. Oder wir bauen Schnittstellen auf zu Software-Anbietern. Es gibt aber auch Möglichkeiten wie die Anfrage von Rezepten oder Online-Konsultationen.
Nun ist es aber nicht so, dass viele Ärzte verzweifelt nach Patienten suchen – eher müssen Sie Patienten abwimmeln.
Richtig. Das ist bei Hausärzten und Kinderärzten so. Doctena bietet jedoch seine Dienstleistungen für ein breiteres Spektrum an, von Spezialisten über Allgemeinmediziner bis hin zu Zahnärzten oder Physiotherapeuten. Nicht alle haben den gleichen Bedarf. Für Zahnärzte oder Physiotherapeuten ist die Suche nach Neupatienten zum Beispiel wichtig. Für Allgemeinmediziner mag die Prozessoptimierung im Vordergrund stehen.

«Bei Flügen und Hotels ist die Online-Buchung auch durch alle Generationen selbstverständlich geworden»

Ohnehin hat Doctena zwei Kernvorteile, und der grösste Vorteil ist die Optimierung des Buchungsprozesses. Buchungen werden heute noch grösstenteils amTelefon gemacht und beanspruchen sehr viele Ressourcen. Mit unserem Buchungsprozess kann die MPA den Arzt in vielen Belangen unterstützten, anstatt Zeit unnötigerweise am Telefon zu verbringen. Das ist der eine Punkt. Der andere ist, dass Patienten hier gezielt nach einem Arzt suchen können – in der Nähe, in einem bestimmten Fachgebiet, in ihrer Sprache.
Doctena ist erst attraktiv für Ärzte, wenn viele Patienten dort buchen wollen. Und für die Patienten wird Doctena erst interessant, wenn es dort viele Ärzte zu finden gibt. Wie gewinnen Sie Ärzte?
Wir haben mittlerweile einen «Soft-Launch» gemacht, mit einigen ausgewählten Ärzten. Wir verfolgen derzeit noch eine Push-Strategie, das heisst: Wir gehen aktiv auf die Ärzte zu. Wir suchen aber auch andere Wege, um die Ärzte dazu zu bewegen, bei Doctena anzufangen. Um das Konzept zu verstehen, bedarf es eines persönlichen Gesprächs. Derzeit sind wir in Zürich und Genf präsent, werden aber auch bald in anderen Städte aktiv akquirieren. Mit der Zeit wollen wir mehr und mehr zu einer Pull-Strategie wechseln – also dass mit grösserem Bekanntheitsgrad auch vermehrt Ärzte von sich aus an uns herantreten. Derzeit unterstützen wir unsere Strategie mit sehr attraktiven Einführungsofferten.
Und wie finden die Patienten zu Ihnen?
Wir machen einerseits Marketing für unsere Website und unsere Apps auf Sozialen Medien. Der andere Punkt: Viele Arztpraxen haben bereits eine Website. Dort werden zum Beispiel verfügbare Termine angezeigt, oder es wird auf das Profil verlinkt. Aber ein oft unterschätzter Faktor sind die Patienten, die ein Arzt schon hat. Wenn eine Praxis unsere Online-Lösung anwendet, hat sie ein Interesse, allen Patienten mitzuteilen, dass es diese Möglichkeit der Terminvereinbarung gibt. Dabei helfen wir natürlich aktiv und gerne mit. Die Ärzte wundern sich, wie rasch ihre Patienten zur Onlinebuchung wechseln. Wir haben eine Praxis, die innert weniger Monate 40 bis 50 Prozent ihrer Terminbuchungen online abwickeln konnte, eine andere, welche in kürzester Zeit pro Monat 15 Neupatienten gewann.
Gibt’s da kein Generationenproblem? Ärzte haben meist zwangsläufig ältere Patienten.
In der Tat sind die meisten Patienten, die online buchen, eher jünger. Aber man wundert sich oft, wie affin ältere Menschen gegenüber moderner Technologie sind. Bei den Flügen ist die Online-Buchung auch durch alle Generationen selbstverständlich geworden.
Nun ist Doctena ein internationaler Player, er kommt aus Luxemburg und war bislang in den Benelux-Staaten aktiv. Warum jetzt die Schweiz? Etwas Komplizierteres hätten Sie sich kaum aussuchen können.
Die Schweiz ist sicherlich nicht der einfachste Markt. Die Wahl entspricht unserer Strategie, hat aber auch ein wenig mit den Gründern des Unternehmens zu tun, die einen starken Bezug zur Schweiz haben. Die Schweiz ist ein hoch technologisierter Markt mit grosser Affinität zur IT, sowohl auf Arzt-, als auch auf Patientenseite. Und wenn die Kunden hier sehr anspruchsvoll sind, so passt das zu uns, weil wir diesen Ansprüchen gerecht werden.
Die Schweiz ist aber ein kleiner Markt.
Das möchte ich so nicht sagen. Sicherlich sind Länder wie Deutschland, Frankreich und England vom Volumen her grösser, aber es ist trotzdem ein sehr wichtiger Markt mit grossem Potential. Wir sind derzeit in kleineren Ländern präsent, was aber nicht heisst, dass das immer so bleiben wird.
Stimmt unsere These, dass auch hier am Schluss einer fast alles beherrschen wird – weil die Kunden genau eine Anlaufstelle möchten, nicht eine breite Palette? So wie Google bei der Suche, Ebay oder Amazon im E-Commerce, Wikipedia bei Lexikon-Wissen et cetera…
Ich weiss nicht, ob es nur einen geben wird; vielleicht bleiben ein paar wenige. Aber klar ist: Es gibt derzeit eine Reihe sehr kleiner Anbieter, und am Ende ist es wichtig, dass auf einer Plattform viele Ärzte zur Verfügung stehen. Darum erwarte ich auch, dass eine Auslese und Konsolidierung stattfinden wird.
Es gibt diverse Spital-, Kliniken- oder Heim-Vergleichs-Plattformen, und es gibt allerlei Ärzte-Plattformen. Könnten diese beiden Welten auch einmal zusammenfinden?
Doctena bietet sowohl Patienten, als auch Ärzten einen Mehrwert, indem Termine einfacher und effizienter gebucht, bzw. vereinbart werden können. Gleichzeitig wollen wir als Aggregator auftreten, als zentrale Anlaufstelle für die Terminbuchung bei Patienten, unabhängig davon, welche Technologie benutzt wird. Wir suchen hier aktiv nach Zusammenarbeitspartner und sind diesbezüglich sehr offen.
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