Schnell eine Eisen-Infusion, das Vitamin D messen – oder gleich mal einen ausführlichen Gesundheitscheck machen: Solche Tests und Behandlungen werden in Hausarztpraxen oft routinemässig angeordnet. Es kann ja nicht schaden, lautet häufig die Überlegung dahinter.
20 bis 30 Prozent der Massnahmen sind unnötig
Allerdings nützen solche Massnahmen den Patienten meistens auch nichts: Das zeigen zahlreiche Studien, wonach in der Schweiz 20 bis 30 Prozent der medizinischen Interventionen nicht nötig sind. Deshalb hat der Verein «Smarter medicine» (mehr dazu unten im Kasten) eine neue Top-5-Liste für Hausärztinnen und Hausärzte herausgebracht.
Mit diesen Listen, die es auch für viele andere Fachrichtungen gibt, will der Verein Über- und Fehlversorgung verhindern. «Smarter medicine» will erreichen, dass eine Behandlung nur dann angewendet wird, wenn sie wirklich zur Gesundheit und zum Wohl der Patienten beiträgt.
Die fünf unnötigsten Tests und Behandlungen
Bei den folgenden fünf gängigen Behandlungen und Tests sollten sich Hausärztinnen und Hausärzte gut überlegen, ob sie dem Patient nützen:
- Messung von Vitamin D als Routine bei Personen ohne Risikofaktoren für einen Vitamin D-Mangel.
- Eisensubstitution bei asymptomatischen, nicht anämischen Patientinnen und Eiseninfusion ohne vorgängigen Therapieversuch mit Tabletten - ausser bei schlechter Absorption.
- Regelmässige, ausführliche Gesundheitschecks.
- MRI (Magnetresonanztomographie) des Kniegelenks bei vorderen Knieschmerzen ohne Bewegungseinschränkung oder Gelenkserguss ohne vorherige adäquate konservative Behandlung.
- Messung der Blutfettwerte und Behandlung mit Cholesterinsenkern bei Personen über 75 Jahren ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Diese Empfehlungen stammen von der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM). Der Verein «Smarter medicine» versteht sie als Leitlinien für die Entscheide, welche Hausärzte mit ihren Patienten gemeinsam treffen.
Studie mit 1000 Hausärzten
Sie basieren auf einer Studie des Instituts für Hausarztmedizin Zürich mit über 1000 Schweiz Hausärztinnen und Hausärzten. Diese wurden nach Interventionen aus der täglichen Praxis befragt, die sie für nutzlos oder sogar schädlich halten.
Die erwähnten fünf Routine-Behandlungen bringen unter Umständen nicht nur keine zusätzlichen Informationen. Sie können für die Patienten auch Nachteile haben. MRI des Kniegelenks, etwa, können zu unnötigen Behandlungen führen, weil harmlose altersgerechte Abnutzungen überbewertet werden.
Auch für Kliniken gibt es Top-5-Listen
Oder am Beispiel der Cholesterinsenker: Bei Menschen über 75 Jahren ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt eine Therapie mit Statinen oft zu mehr Nebenwirkungen als effektivem Nutzen. Schon vor fünf Jahren kam eine erste Top-5-Liste für Hausärzte heraus (siehe weiter unten).
Und auch in Kliniken wird das Prinzip der «Smarter medicine» bereits angewendet. Zum Beispiel im Genfer Privatspital La Tour: «Wir behandeln zu viel», lautet die eher ungewohnte Erkenntnis der Spitalverantwortlichen. Medinside berichtete
hier darüber.
Das ist «Smarter Medicine»
«Smarter Medicine» ist ursprünglich eine Kampagne, die zum Ziel hat, vernünftige medizinische Entscheidungen zu fördern. Das heisst: Die Bevölkerung soll merken, dass bei gewissen Behandlungen weniger Medizin mehr Lebensqualität für die Betroffenen bedeuten kann.
Verschiedene medizinische Fachgesellschaften haben bereits Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich erstellt (siehe www.smartermedicine.ch); derzeit gibt es deren 18.
Der Verein, der diese Kampagne fördert, ist 2017 gegründet worden. Er heisst «Smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland» und wird getragen von der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und auch von Patientenschutz- und Konsumentenschutz-Organisationen.
Mehrere Spitäler sind Partner des Vereins: Neben der Klinik La Tour sind das die beiden Westschweizer Universitätsspitäler Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) und Hôpitaux Universitaires Genève (HUG), das Luzerner Kantonsspital, das Kantonsspital Nidwalden, in Zürich das Stadtspital Waid und Triemli und das Spital Limmattal sowie die Tessiner Kantonsspitäler Ente Ospedaliero Cantonale und die Luganeser Klinik Moncucco. Vor kurzem haben sich auch die Medix-Praxen dem Verein angeschlossen.
Die erste Top-5-Liste für Hausärzte
Schon vor fünf Jahren ist eine erste Top-5-Liste für Hausärzte erschienen. Diese machte folgende Empfehlungen:Bei unspezifischen Rückenschmerzen verbessern Röntgen-Aufnahmen in den ersten sechs Wochen den Behandlungserfolg nicht.Keine Antibiotika bei unkomplizierten Entzündungen der oberen Luftwege, weil diese gegen Viren nutzlos sind.Langzeitbehandlung mit Magensäure-Blockern bei Magen-Darm-Beschwerden nur in möglichst geringen Mengen.Keine routinemässigen Röntgenaufnahmen des Brustkorbs vor Operationen.Keine Routine-Messung des PSA-Werts zur Früherkennung von Prostatakrebs ohne Besprechung von Risiko und Nutzen und auch nicht bei Männern, die über 75 Jahre alt sind.