Wartet nicht einfach, bis die Politik tätig wird

Es braucht mehr unternehmerisches Denken im Gesundheitswesen – und erst recht im Pflegeberuf.

Gastbeitrag von Alessia Schrepfer, 22. März 2024 um 23:00
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Stärker in betriebswirtschaftliche Aspekte einbinden: Alessia Schrepfer, Pflege-Unternehmerin  |  Bild: PD
In einer Zeit, wo die Pflegebranche mehr denn je im Fokus steht, ist es entscheidend, die Herausforderungen klar zu erkennen. Doch allzu oft werden Äpfel mit Birnen verglichen, was eine klare Sicht auf die Realität der Pflegebranche einschränkt.
Kritiker behaupten zum Beispiel, dass die Emanzipation der Pflege zu Mengenausweitungen und einer Kostenexplosion führt. Doch bestehende Erkenntnisse widerlegen diese Argumente deutlich. Eine verbesserte Personalausstattung in den Akutspitälern kann jährlich mehrere hundert Millionen Franken einsparen.
  • Alessia Schrepfer ist ausgebildete FaGe sowie Dipl. Pflegefachfrau BSc FHO und hat einen Master in gerontologischer Pflege ZHAW. 2022 (mit-)gründete sie WeNurse, einen Freelance-Pool für Gesundheits- und insbesondere Pflege-Personal. Dafür wurde sie jüngst vom Swiss Economic Forum als «Young Entrepreneur of the Year» ausgezeichnet.
Laut einer Studie von Intercare besteht ein Sparpotenzial von circa 1,5 Milliarden Franken in der ambulanten Pflege und der Langzeitpflege. Denn 42 Prozent der Spitaleinweisungen wären vermeidbar, wenn mehr qualifiziertes Pflegepersonal vorhanden wäre.
Auch hier ist ein adäquater (Mindest-) Stellenplan und vor allem sinnvoller Skill- und Grademix einer der relevantesten Schlüsselfaktoren. Denn was oft vergessen wird: Pflegeperson ist nicht gleich Fachperson Gesundheit – und Fachperson Gesundheit ist nicht gleich Dipl. Pflegefachperson HF/FH. Obendrein macht Pflege allgemein extrem viel «Berufsfremdes» – auch hier fände sich ein starker Ansatz, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Er lautet: «Schuster, bleib bei deinen Leisten!»
Die Spitze des Eisberges ist schliesslich, dass die Zeiten des «bedingungslos dankbaren Patienten» längst vorbei sind. Es wird immer komplexer, aufwändiger und schon fast unmöglich, die Erwartungen der kommenden Generationen an die Gesundheitsinstitutionen zu erreichen.
«Es gäbe einen starken Ansatz, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Er lautet: Schuster, bleib' bei deinen Leisten!»
Genau solche Aspekte machen viele Pflegende im Gesundheitssystem unglücklich. Es ist ein Spagat zwischen Über- und Unterforderung in den einzelnen Berufsgruppen – mit all seinen negativen Konsequenzen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Am Ende trifft es schliesslich immer die «Schwächsten» im System – die Patienten. Erstens bei der so genannten «Kostenexplosion», zweitens beim eigenen Gesundheitswohl. Wie titelte doch jüngst ein Artikel von Medinside? «Studie: Wo das Pflegepersonal unzufrieden ist, sterben mehr Patienten».
Was tun? Obwohl vielen Pflegenden der Lohn nicht als wichtigstes Anliegen erscheint, gibt es hier im internationalen Vergleich einen deutlichen Nachholbedarf, wie die OECD-Studie 2019 zeigte. Häufig werden hier von Arbeitnehmern Äpfel mit Birnen verglichen – wie Monatslohn versus Stundenlohn, weitere Lohn- und Leistungszusätze et cetera.
Um hier Abhilfe zu schaffen, ist es wichtig, die Gesundheitsberufe vermehrt in wirtschaftliche, finanzielle und betriebswirtschaftliche Aspekte einzubinden. Dies kann zu einer besseren Verständigung und Lösungsfindung bei Lohnfragen führen.
«Abwarten hat noch nie zu Innovation und Veränderung geführt.»
Auch wenn es um Temporär- und Beratungskräfte geht, gibt es Äpfel, Birnen und darunter auch einige, die schon etwas «verdorben» sind. Kurzfristig betrachtet mögen Temporär- und Beratungskräfte das System teurer machen (rund 11 Prozent gemäss der Kostenanalyse der ZHAW).
Doch langfristig gesehen tragen externe Fachpersonen dazu bei, die Gesundheitskosten insgesamt zu senken. Sie bieten Flexibilität, spezialisierte Fähigkeiten und Expertise – und senken das Risiko von Pflegeeinrichtungen. Dies zeigt uns auch die Privatwirtschaft mit ihren Bodyleasing-Erfolgsmodellen beispielsweise der grossen Auditing-Firmen («Big 4»).

Mehr Stolz auf die Rolle

Was es aus meiner Sicht im Endeffekt ausmacht, ist die Mission und Ambition der jeweiligen Anbieter. Was steht im Vordergrund: Qualität oder Quantität um jeden Preis? Geht es um die Stärkung und Erhaltung der Pflegenden?
Pflegefachpersonen sollten nicht nur Freude an ihrer Arbeit haben, sondern sich auch ernst genommen fühlen und dadurch dem Beruf treu bleiben. Der Pflegeberuf zählt zweifellos zu den schönsten Berufen, und er ist unverzichtbar. Wer immer dort tätig ist, soll stolz auf seine Rolle sein. Das heisst aber auch, dass alle ihren Teil beitragen sollen und nicht einfach darauf warten, bis die Politik oder ein Management aktiv wird.
«Insgesamt ist es an der Zeit, neue Geschäftsmodelle zu suchen, die ein Umdenken im Gesundheitswesen und in der Pflege zu ermöglichen.»
Abwarten hat noch nie zu Innovation und Veränderung geführt. Dies muss zwingend durchbrochen werden. Denn unser Gesundheitssystem ist höchst komplex und vielfältig, eine Optimierung und eine gleichermassen Kosteneffizienz ist nur möglich, wenn synergetisch und lösungsorientiert gearbeitet und der Fokus geschärft wird. Miteinander statt gegeneinander.
Zusätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass mehr unternehmerisches Denken im Gesundheitswesen und erst recht im Pflegeberuf erforderlich ist. Aus diesem Grund können alle bei WeNurse Aktionäre oder Aktionärinnen werden. Das soll das Berufsverständnis und die Anerkennung des Pflegeberufs fördern – und zugleich fordert es auch Mitverantwortung ein.
Insgesamt ist es an der Zeit, neue Geschäftsmodelle zu suchen, die ein Umdenken im Gesundheitswesen und in der Pflege zu ermöglichen – hin zu einer besseren Berufs-Situation der Pflegefachpersonen, zu transparenten Vergütungssystemen, zu mehr Anerkennung und mehr unternehmerischem Einfluss.
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