Der Beruf als Hausarzt ist zwar wieder beliebter als auch schon. Doch wichtig erscheint es, dass die jungen Medizinerinnen und Mediziner in ihrem Beruf verbleiben. Dass das Umfeld noch immer nicht optimal ist, zeigt das Beispiel von Thomas Ernst. Ende August gibt der Hausarzt seine Praxis im aargauischen Rheinfelden nach anderthalb Jahren wieder auf – «schweren Herzens», wie er in einem Brief an seine rund 1'500 Patientinnen und Patienten schreibt.
Der gewichtigste Grund für die Praxisschliessung sei die Tatsache, dass der Zeitdruck in der Sprechstunde aus verschiedenen Gründen enorm hoch sei, erklärt Ernst. Dies komme einerseits durch politische Vorgaben zustande, anderseits durch die grosse Nachfrage bei einem zu kleinen Angebot, so der Arzt. Abrechnen können Ärzte pro Gespräch im Normalfall maximal zwanzig Minuten.
Muss Abklärungen an Spezialisten delegieren
Die täglich grosse Zahl an Konsultationen und die folglich fehlende Zeit vor allem für diejenigen Patienten, welche die Hilfe am meisten brauchten, münde für ihn in einen «erheblichen moralischen Konflikt». Und zwar mit seinem Anspruch auf eine anhaltend hochqualitative Versorgung und eine Medizin, bei welcher jeder Patient mit seinem Anliegen im Zentrum stehe.
Aufgrund des Zeit- und Kostendrucks sehe er sich nicht selten dazu gezwungen, Abklärungen und Behandlungen, welche er auch selbst durchführen könnte, an einen Spezialisten zu delegieren. Auch dies führt zu Unzufriedenheit, wie er weiter schreibt. Seine abrechenbare Zeit ist viel weniger als die effektive Arbeitszeit von morgens sieben Uhr bis abends sieben Uhr.
Thomas Ernst verweist auch auf den «Druck drohender Regresse». Dieser trage ebenfalls nicht zu einem «freien und hippokratischen Arbeiten» bei und vermittle stattdessen ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Der junge Hausarzt frage sich bei jeder Verordnung, ob damit nicht zu viele Kosten verursacht würden. «Der Patient gerät dabei immer weiter in den Hintergrund.»
Thomas Ernst hat vor anderthalb Jahren eine Hausarztpraxis eröffnet. | Hausarztpraxis im Zentrum
Regulierung behindert ihn teilweise
Thomas Ernst, vor seiner Praxiseröffnung Oberarzt am Kantonsspital Baselland (KSBL) in Liestal, weist in seinem Brief gleichzeitig auf die aktuelle gesundheitspolitische Situation hin: «Bestrebungen zur Reduktion des Kostenwachstums geniessen eine sehr hohe Priorität und sind Anlass für verschiedenste regulatorische Massnahmen.» Diese beeinflussen nicht selten seine Arbeit negativ und behindern ihn teilweise sogar darin, wie im Schreiben weiter steht.
Der Hausarzt, der vor gut 10 Jahren an der Uni Basel das Medizinstudium abgeschlossen hatte, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die Hausarzt-Einzelpraxis in Zukunft überhaupt noch ein medizinisch und ökonomisch vertretbares Modell bleiben könne. «Wenn ich die aktuellen Entwicklungen im nahen europäischen Umfeld betrachte, wo es bereits heute normal ist, dass ein Hausarzt häufig über 60 Patienten pro Tag behandeln muss, so hege ich diesbezüglich Zweifel.»
So habe er die Medizin nicht lieben gelernt
Unter diesen Voraussetzungen kann sich Thomas Ernst nicht vorstellen, diesen Beruf als Hausarzt noch weitere 30 Jahre sicher, gesund und zufrieden auszuüben, schreibt der Facharzt für Allgemeine Innere Medizin weiter. «Denn die geschilderten Umstände hindern mich daran, die Medizin so zu praktizieren, wie ich sie lieben gelernt habe: zum Wohle des Patienten und qualitativ hochwertig.»
«Was man beruflich tut, muss in erster Linie im Bauch und im Herzen stimmen», sagte er im Februar
zur «Neuen Fricktaler Zeitung». Bei der Eröffnung seiner Praxis im April 2018 habe er nebst Freude aber auch Zweifel gespürt, ob das wirklich eine gute Idee sei, eine eigene Praxis aufzumachen. «Aber alles war schon in die Wege geleitet, viel Geld investiert.» Es gab kein Zurück. Ende August ist seine Hausarztpraxis nun Geschichte.