Warum dieser junge Hausarzt seine Praxis bereits wieder aufgibt

Nach nur gut einem Jahr schliesst Thomas Ernst seine Hausarztpraxis im Kanton Aargau wieder. Grund ist der Zeitdruck in der Sprechstunde. In einem Brief kritisiert der junge Hausarzt die aktuelle gesundheitspolitische Situation.

, 13. Juni 2019 um 04:00
image
  • hausärzte
  • praxis
  • ärzte
  • gesundheitspolitik
Der Beruf als Hausarzt ist zwar wieder beliebter als auch schon. Doch wichtig erscheint es, dass die jungen Medizinerinnen und Mediziner in ihrem Beruf verbleiben. Dass das Umfeld noch immer nicht optimal ist, zeigt das Beispiel von Thomas Ernst. Ende August gibt der Hausarzt seine Praxis im aargauischen Rheinfelden nach anderthalb Jahren wieder auf – «schweren Herzens», wie er in einem Brief an seine rund 1'500 Patientinnen und Patienten schreibt.
Der gewichtigste Grund für die Praxisschliessung sei die Tatsache, dass der Zeitdruck in der Sprechstunde aus verschiedenen Gründen enorm hoch sei, erklärt Ernst. Dies komme einerseits durch politische Vorgaben zustande, anderseits durch die grosse Nachfrage bei einem zu kleinen Angebot, so der Arzt. Abrechnen können Ärzte pro Gespräch im Normalfall maximal zwanzig Minuten. 

Muss Abklärungen an Spezialisten delegieren

Die täglich grosse Zahl an Konsultationen und die folglich fehlende Zeit vor allem für diejenigen Patienten, welche die Hilfe am meisten brauchten, münde für ihn in einen «erheblichen moralischen Konflikt». Und zwar mit seinem Anspruch auf eine anhaltend hochqualitative Versorgung und eine Medizin, bei welcher jeder Patient mit seinem Anliegen im Zentrum stehe.
Aufgrund des Zeit- und Kostendrucks sehe er sich nicht selten dazu gezwungen, Abklärungen und Behandlungen, welche er auch selbst durchführen könnte, an einen Spezialisten zu delegieren. Auch dies führt zu Unzufriedenheit, wie er weiter schreibt. Seine abrechenbare Zeit ist viel weniger als die effektive Arbeitszeit von morgens sieben Uhr bis abends sieben Uhr.  
Thomas Ernst verweist auch auf den «Druck drohender Regresse». Dieser trage ebenfalls nicht zu einem «freien und hippokratischen Arbeiten» bei und vermittle stattdessen ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Der junge Hausarzt frage sich bei jeder Verordnung, ob damit nicht zu viele Kosten verursacht würden. «Der Patient gerät dabei immer weiter in den Hintergrund.»
image
Thomas Ernst hat vor anderthalb Jahren eine Hausarztpraxis eröffnet. | Hausarztpraxis im Zentrum

Regulierung behindert ihn teilweise

Thomas Ernst, vor seiner Praxiseröffnung Oberarzt am Kantonsspital Baselland (KSBL) in Liestal, weist in seinem Brief gleichzeitig auf die aktuelle gesundheitspolitische Situation hin: «Bestrebungen zur Reduktion des Kostenwachstums geniessen eine sehr hohe Priorität und sind Anlass für verschiedenste regulatorische Massnahmen.» Diese beeinflussen nicht selten seine Arbeit negativ und behindern ihn teilweise sogar darin, wie im Schreiben weiter steht.
Der Hausarzt, der vor gut 10 Jahren an der Uni Basel das Medizinstudium abgeschlossen hatte, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die Hausarzt-Einzelpraxis in Zukunft überhaupt noch ein medizinisch und ökonomisch vertretbares Modell bleiben könne. «Wenn ich die aktuellen Entwicklungen im nahen europäischen Umfeld betrachte, wo es bereits heute normal ist, dass ein Hausarzt häufig über 60 Patienten pro Tag behandeln muss, so hege ich diesbezüglich Zweifel.»

So habe er die Medizin nicht lieben gelernt

Unter diesen Voraussetzungen kann sich Thomas Ernst nicht vorstellen, diesen Beruf als Hausarzt noch weitere 30 Jahre sicher, gesund und zufrieden auszuüben, schreibt der Facharzt für Allgemeine Innere Medizin weiter. «Denn die geschilderten Umstände hindern mich daran, die Medizin so zu praktizieren, wie ich sie lieben gelernt habe: zum Wohle des Patienten und qualitativ hochwertig.»
«Was man beruflich tut, muss in erster Linie im Bauch und im Herzen stimmen», sagte er im Februar zur «Neuen Fricktaler Zeitung». Bei der Eröffnung seiner Praxis im April 2018 habe er nebst Freude aber auch Zweifel gespürt, ob das wirklich eine gute Idee sei, eine eigene Praxis aufzumachen. «Aber alles war schon in die Wege geleitet, viel Geld investiert.» Es gab kein Zurück. Ende August ist seine Hausarztpraxis nun Geschichte. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Fünf goldene Regeln, wie Ärzte den Patienten Zahlen verständlich machen

Laborwerte, Risiken, Therapieeffekte – viele Aufklärungsgespräche scheitern an medizinischen Zahlen. Doch wie erläutert man, was eine Behandlung bringt? Ein Vorschlag.

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

«Im Gesundheitswesen braucht es Visionen statt Pflästerlipolitik»

Andreas Kistler über wirtschaftliche Zwänge, sinnentleerte administrative Aufgaben und die Entstehung von immer mehr Tätigkeiten, die keinen direkten Nutzen für Patienten stiften.

image

«Schauen Sie genau, wen Sie heiraten – das meine ich ernst.»

Seilschaften, starre Regeln und intransparente Gehälter bremsen Frauen auf dem Weg zur Chefarztposition. Rückhalt daheim ist entscheidend – und Teilzeit ist problematisch: Das sagt Susanne Renaud, Chefärztin Neurologie am Spital Neuenburg.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

Arzt sein mit Sinn – das ist Medbase.

Der ärztliche Beruf verändert sich – und mit ihm die Erwartungen. Viele Ärztinnen und Ärzte suchen heute mehr als nur eine Anstellung: Sie suchen Wirksamkeit, Gestaltungsspielraum und ein Umfeld, das ihre Werte teilt.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.