Neue Daten: 9 von 10 Schlaganfällen liessen sich vermeiden

Eine kleine Gruppe von beeinflussbaren Faktoren verantwortet fast alle Hirnschläge. Naheliegende Folgerung: Der Schlaganfall wird zu einem wichtigen Feld für die Prävention.

, 20. Juli 2016 um 13:00
image
  • prävention
  • forschung
  • neurologie
Was verursacht Hirnschläge? Hoher Blutdruck. Dass dies der wichtigste Risikofaktor ist, steht natürlich nach der Interstroke-Studie weiter ausser Zweifel. Die grosse globale Untersuchung analysierte die Daten von 27'000 Patienten, um noch detaillierter nach den Ursachen einer wichtigen Todesursache zu fahnden; beziehungsweise einer Störung, die jährlich etwa 15 Millionen Menschen schwer trifft.
Jetzt wurden neue Ergebnisse veröffentlicht. Die Wissenschaftler gingen der Rolle wichtiger einzelner Risikfaktoren hinter dem ischämischen Schlaganfall nach, also der häufigsten Form. Und heraus kam, dass die gleichen zehn Ursachen für etwas mehr als 90 Prozent der Hirnschläge verantwortlich zeichnen.
Oder noch genauer gerechnet: Der Auslöser Nummer eins – hoher Blutdruck – verantwortet in Kombination mit neun weiteren Faktoren neun von zehn Schlaganfällen.

Martin J. O'Donnell, Denis Xavier, Lisheng Liu et al.: «Risk factors for ischaemic and intracerebral haemorrhagic stroke in 22 countries (the INTERSTROKE study): a case-control study», in: «The Lancet», Juli 2016.

Durch Korrelationsrechnungen eruierten die Forscher unter Leitung von Martin J. O’Donnell (McMaster University, Kanada), um wieviel weniger Hirnschläge es durch die Elimination eines einzelnen Risikofaktors gäbe. Auf den hohen Blutdruck entfielen dabei knapp 48 Prozent. Die anderen Faktoren – und ihre prozentuale Bedeutung – waren:

  • Bewegungsarmut: 36 Prozent
  • Lipide (Blutfette): 27 Prozent
  • Einseitige Ernährung: 23 Prozent
  • Schweres Übergewicht: 19 Prozent
  • Rauchen: 12 Prozent
  • Herzerkrankungen: 9 Prozent
  • Alkohol: 6 Prozent
  • Stress: 6 Prozent
  • Diabetes: 4 Prozent.

Viele dieser Faktoren hängen bekanntlich miteinander zusammen – etwa Adipositas und Diabetes –, und berücksichtigt man alle Kombinationen, so ergibt sich die erwähnte Gesamtquote von 90,7 Prozent der Fälle, welche die aufgelisteten 10 Gründe zurückzuführen sind.
Dabei fielen die Ergebnisse in allen Weltgegenden ähnlich aus – wie auch in allen Altersgruppen sowie bei Männern wie Frauen.

Europa: Blutdruck weniger wichtig, Vorhofflimmern bedeutender

Allerdings schwankte die Bedeutung einzelner Faktoren. In Westeuropa und Nordamerika konnten lediglich 39 Prozent der Hirnschläge auf hohen Blutdruck zurückgeführt werden; in Südostasien lag dessen Bedeutung indes bei knapp 60 Prozent. Oder: Alkohol erschien in Europa als sehr unbedeutende Ursache, derweil in Afrika mehr als jeder zehnte Hirnschlag irgendwie damit in Verbindung gebracht werden konnte. Vorhofflimmern war dagegen in Europa – statistisch gesehen – ein ausgesprochen wichtiger Risikofaktor.
«Die Interstroke-Studie zeigt, dass die Mehrheit der Schlaganfälle von bestimmten verbreiteten und beeinflussbaren Risikofaktoren ausgelöst werden», sagt Salim Yusuf vom Population Health Research Institute der McMaster University. «Die Ergebnisse helfen bei der Entwicklung von allgemeinen Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor dem Hirnschlag, und sie deuten an, wie solche Programme je nach Region massgeschneidert werden könnten».

«Eine hochgradig vermeidbare Krankheit»

Zu den konkreten Bestandteilen solch eines Programms, so Yusuf, könnte bessere Aufklärung, tiefere Preise für gesunde Nahrungsmittel, eine Senkung des Tabakkonsums oder günstigere Medikamente gegen Hypertension und Dyslipidämie gehören.
Gewiss, das tönt recht allgemein – nach dem Motto: Man starte Programme für ein gesundes Leben. Dennoch: Dass der Schlaganfall ein Feld für die Prävention wird, ist letztlich die entscheidende und unausgesprochene Kernaussage der Interstroke-Studie.

Der Ball liegt bei den Regierungen

«Gehirnschlag ist eine hochgradig vermeidbare Krankheit, unabhängig von Alter und Geschlecht», kommentieren die beiden Medizinerinnen Valery Feigin und Rita Krishnamurthi vom National Institute for Stroke von Neuseeland in einem Editorial in «The Lancet»
«Wir hören den Ruf nach primären Präventionsmassnahmen. Jetzt liegt es an den Regierungen, Gesundheitsorganisationen und Individuen, weltweit die Bürde des Hirnschlags zu senken. Die Regierungen aller Länder sollten einen dringlichen Plan für die Prävention des Schlaganfalls entwickeln.»


Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

UKBB: Neue Epilepsie- und Schlaflabor-Einheit

Damit hat das Basler Kinderspital ein hochspezialisiertes Zentrum für Epileptologie und Schlafmedizin nach internationalem Standard.

image

Neues Prognosemodell weist auf Risiko für Opioidabhängigkeit hin

Unter der Leitung von Maria Wertli (KSB) und Ulrike Held (USZ) haben Forschende der ETH Zürich und der Helsana ein Modell zur Risikoeinschätzung einer Opioidabhängigkeit entwickelt.

image

Reha Rheinfelden holt Parkinson-Spezialisten vom CHUV

David Benninger ist seit Mitte Monat stellvertretender Chefarzt am Rehabilitationszentrum.

image

Hirslanden: Stammzellentherapie gegen MS

Ab nächstem Jahr kann in der Privatklinik in Zürich die autologe Blut-Stammzelltransplantation bei aggressive Verläufen der Multiplen Sklerosa eingesetzt werden.

image

Hirntumor-Risiko für Kinder: Entwarnung

Schuld könnten die kleinen Fallzahlen sein: Dass Kinder im Berner Seeland und im Zürcher Weinland mehr Hirntumore haben, ist wohl das Zufalls-Ergebnis einer Studie.

image

Ranking: Das sind die besten Schweizer Fachkliniken

Die Unikliniken, die Hirslanden-Gruppe und die Schulthess Klinik liegen im Test der «Besten Fachkliniken der Schweiz» der «Handelszeitung» auf Spitzenplätzen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.