Ein Berner Chefarzt beurteilte im Auftrag eines Diplomaten der libyschen Botschaft in der Bundesstadt Patientendossiers libyscher Staatsbürger. Es ging um die Frage, ob die Patienten in der Schweiz behandelt werden können. Dabei überwies ihm die Botschaft die gesamten geschätzten Behandlungskosten. 20 Prozent erhielt er als Honoror, den anderen Teil musste der Arzt auf private Konten des libyschen Diplomaten weiterleiten.
Insgesamt überwies ihm die libysche Botschaft so 935'000 Franken, wie die Zeitung «Der Bund» am Dienstag berichtet. Im Schnitt verdiente der Chefarzt mit einer Kostenschätzung 10'000 Franken. Die Kostenschätzungen erstellte der Mediziner auf Briefpapier und mit Stempeln der Kliniken, für die er tätig war. Der Fall kam ins Rollen, weil bei der Credit Suisse die Alarmglocken läuteten: Das Finanzinstitut verlangte eine Erklärung für die Geldflüsse; der Arzt konnte allerdings keine schlüssige Begründung liefern.
Chefarzt unterstützte die Diplomaten
Das Berner Wirtschaftsstrafgericht sah es nun aber als erwiesen an, dass hier Geld veruntreut wurde. Denn der Geldfluss als solcher ergebe keinen Sinn. Kurz: Der libysche Diplomat plünderte die Kasse seiner Botschaft. Um das zu verschleiern, wurden die Gelder über das private Firmenkonto des Arztes geleitet.
Der Berner Chefarzt wurde schliesslich wegen Beihilfe zur Veruntreuung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Zudem muss der Mediziner 180'000 Franken in die Kasse des Kantons Bern zahlen. Dies entspricht dem Betrag, den er selbst aus dem Geschäft gezogen hat. Darüber hinaus muss der Arzt die Verfahrenskosten von 21'000 Franken tragen.
«Keine grossen Fragen gestellt»
Der Chefarzt müsse «gewusst oder zumindest in Kauf genommen haben, ein Vermögensdelikt zu fördern», so das Gericht. Er habe sich dazu aber keine grossen Fragen gestellt, sagte der Mediziner, der bereits Mitglieder des Ghadhafi-Regimes behandelt habe und heute Hausarzt mehrerer ausländischer Botschafter sei.
Ob der Mann das Urteil akzeptiert oder ans Obergericht weiterzieht, ist noch offen. Der Botschaftsmitarbeiter sowie ein weiterer im Fall involvierter Diplomat indessen geniessen diplomatische Immunität. Die Staatsanwaltschaft kann sie nicht zur Rechenschaft ziehen. Beide arbeiten noch auf der libyschen Botschaft in Bern.