Viele Patientinnen und Patienten kennen die Situation: Beim Arztbesuch oder im Spital werden Einwilligungserklärungen zur Nutzung oder Weitergabe von Gesundheitsdaten vorgelegt – meist routinemässig, oft ohne grosse Diskussion. Seit Inkrafttreten des revidierten Datenschutzgesetzes hat die Aufmerksamkeit für solche Formulare zugenommen. Damit soll der informationellen Selbstbestimmung als Leitprinzip im Datenschutz Rechnung getragen werden.
Doch das Mittel, mit dem sie in der Praxis meist umgesetzt wird – die Einwilligung – erweist sich im Gesundheitswesen zunehmend als unzureichend. Es führt in der Realität vor allem zu administrativem Aufwand und einer trügerischen Form von Verantwortung, die den Einzelnen stärker belastet, als dass sie ihn wirklich schützt.
Veronika Ludwig leitet die Fachgruppe Gesundheitssektor bei Swiss Data Alliance; der Think Tank will mit Verwaltung, Forschung, Verbänden und Unternehmen eine konstruktive Schweizer Datenpolitik gestalten.
In Spitälern zeigt sich besonders deutlich, wie begrenzt die Wirkung der Einwilligung in ihrer heutigen Form ist. Die Patienten und Patientinnen erteilen ihre Zustimmung meist im Rahmen des Aufnahme- oder Behandlungsprozesses – in einer Phase, in der andere persönliche Anliegen naturgemäss drängender sind. Das Erklären, Einholen, Dokumentieren und Managen der Einwilligungen nimmt in Versorgung und Forschung erhebliche Ressourcen in Anspruch, erzeugt bei den Patienten jedoch gleichzeitig eine Überforderung.
Wer will ernsthaft behaupten, dass Hintergründe und Tragweite der Zustimmung im Zusammenhang mit Gesundheitsdaten immer verstanden und die Einwilligung aktiv als Instrument der Selbstbestimmung genutzt wird?
Bias in Datensätzen
Zugleich verzerren selektive Einwilligungen die Datengrundlage. Wer zustimmt, ist überrepräsentiert; wer überfordert, misstrauisch oder schlicht desinteressiert ist, fehlt. Manche wollen sich nicht festlegen, andere möchten sich mit dem Thema «Daten» gar nicht auseinandersetzen. Wieder andere sagen vorsichtshalber «Nein», obwohl sie nichts Konkretes befürchten. All das führt dazu, dass ganze Bevölkerungsgruppen in Datensätzen fehlen und die Grundlage für Forschung und Versorgungsplanung an Aussagekraft verliert.
Das Instrument «Einwilligung», das Vertrauen schaffen sollte, behindert damit genau die Nutzung, von der letztlich alle profitieren könnten.
Die «Escape Clause» in der Humanforschung
Während in der klinischen Versorgung häufig zur Einwilligung gegriffen wird – nicht selten aus rechtlicher Unsicherheit oder als vermeintlich sicherste Option –, zeigt sich in der Humanforschung die umgekehrte Bewegung. Dort wird zunehmend die Ausnahmeregelung des Art. 34 Humanforschungsgesetz genutzt, die die Weiterverwendung von Gesundheitsdaten erlaubt, wenn die Einholung einer Einwilligung nicht zumutbar oder nicht möglich ist, keine dokumentierte Ablehnung der betroffenen Person vorliegt und das Interesse der Forschung gegenüber dem Interesse der betroffenen Person überwiegt.
Was jedoch ursprünglich als Ausnahme gedacht war, wird zunehmend zur praktischen Standardlösung. Die Forschung weicht der Einwilligung aus, weil sie für die Erhebung grosser, heterogener Datensätzen schlicht nicht praktikabel ist; die Versorgung hingegen hält an ihr fest, obwohl sie dort kaum wirksame Selbstbestimmung ermöglicht.
«Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Daten rechtmässig verarbeitet werden – weil die Strukturen es garantieren.»
Sowohl die routinemässige Verwendung der Einwilligungsformulare in der klinischen Versorgung als auch das routinemässige Ausweichen auf eine Ausnahmeregelung in der Humanforschung zeigen, dass die Einwilligung in ihrer heutigen Form nicht mehr das geeignete Instrument ist, um informationelle Selbstbestimmung im Gesundheitswesen verlässlich herzustellen.
Der entscheidende Aufwand sollte nicht in der Verwaltung von Formularen liegen, sondern in der Gestaltung von verlässlichen Governance-Strukturen, die Vertrauen tragen und durch klare Zuständigkeiten, überprüfbare Prozesse, sichere Infrastrukturen und ethische Grundsätze überzeugen. Auch das Beispiel der Humanforschung zeigt, dass die faktische institutionelle Handhabung im Alltag entscheidet, ob Schutzmechanismen greifen oder pragmatisch gedachte Grenzverschiebungen stattfinden, wobei am Ende derselbe Anspruch bleibt; dass Gesundheitsdaten verlässlich, sicher und nachvollziehbar verwendet werden.
Es braucht also einen Fokuswechsel: weg vom Pflegeaufwand für Formalismen, hin zu einer strukturell verankerten institutionellen Verantwortung. Nur wenn alle relevanten Akteure des Gesundheitswesens institutionell gewährleisten, dass Gesundheitsdaten sicher und nachvollziehbar genutzt werden, entsteht das Vertrauen, das heute fehlt.
Das Opt-Out Modell als Baustein
Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Daten rechtmässig verarbeitet werden, dass es keine Überraschungen bei den Nutzungszwecken gibt, und Missbrauch ausgeschlossen ist. Und dies nicht etwa, weil sie Einwilligungen geben oder selbst ständig prüfen, sondern weil die Strukturen es garantieren.
Die Widerspruchslösung («Opt-out-Modell») kann dabei ein wichtiger Baustein sein, um die umfassende Nutzung von Daten zu ermöglichen und gleichzeitig individuelle Rechte zu wahren.
«Es geht darum, eine Balance zu schaffen zwischen individuellem Schutz und der verantwortungsvollen Nutzung von Gesundheitsdaten im Interesse des Forschungsstandortes Schweiz.»
Beim Opt-out-Modell wird die Nutzung von Gesundheitsdaten grundsätzlich ermöglicht, während das individuelle Recht, der Nutzung zu widersprechen, bestehen bleibt. Eine formale Zustimmung in jedem einzelnen Fall ist damit nicht erforderlich; stattdessen liegt der Schwerpunkt auf transparenter Information sowie auf der jederzeitigen Möglichkeit, die Nutzung (durch Widerspruch) zu beenden. Die Datennutzung bildet den Ausgangspunkt, das Vetorecht bleibt uneingeschränkt erhalten und wird durch klare, nachvollziehbare Kommunikationswege unterstützt, die sicherstellen, dass die Patienten informiert bleiben und ihre Entscheidung jederzeit anpassen können.
Eingebettet in die genannten Governance-Strukturen gewährleistet dieser Ansatz die Datennutzung für Versorgung, Steuerung und Forschung, erhält aber gleichzeitig das individuelle Vetorecht.
Ein modernes Gesundheitsdatensystem braucht institutionelle Verantwortung statt individueller Überforderung, «Trust by Design» statt Formularroutine. Bei all dem geht es nicht darum, die informationelle Selbstbestimmung aufzugeben, sondern sie wirksam zu machen und gleichzeitig eine Balance zu schaffen zwischen individuellem Schutz und der verantwortungsvollen Nutzung von Gesundheitsdaten im Interesse unserer Gesellschaft und des Forschungsstandortes Schweiz.
Bald sollen alle Einwohner der Schweiz automatisch ein elektronisches Gesundheitsdossier erhalten. Hier die wichtigsten Änderungen im Überblick.