Psychologie: Kinder behandeln – aber doch nicht mit den Eltern!

Heute gilt für Psychologen das Anordungsmodell, das mit einem provisorischen Tarif entschädigt wird. Dieser Tarif versagt bei Kindern und Jugendlichen.

Gastbeitrag von Jörg Leeners, 5. Juli 2024 um 22:00
image
Wer Kinder behandeln will, muss auch mit den Eltern arbeiten können.  |  Symbolbild: Natalya Zaritskaya on Unsplash
Fachpsychologen können seit 2022 gegenüber der Krankenkasse nach einer Anordnung durch einen Arzt selbstständig abrechnen. Dazu wurde ein neuer provisorischen Tarif geschaffen, der die Leistung der Psychologen vergütet. Vorher wurden Leistungen von Psychologen gegenüber der Krankenkasse über den Ärztetarif Tarmed abgerechnet.
Der provisorische Tarif des Anordnung-Modells bildet die Leistungen der Psychologen deutlich besser ab als der vorherige Tarmed-Tarif. Als Hauptpositionen erscheinen Diagnostik und Therapie mit einem Patienten, einem Paar, einer Gruppe oder einer Familie.
image
Der Autor

Jörg Leeners ist Chefarzt und Bereichsleiter Kinder- und Jugendpsychiatrie bei der Integrierten Psychiatrie Uri, Schwyz und Zug TriasPlus.
Diese Positionen der Therapie in Anwesenheit eines Patienten werden Positionen von Leistungen in Abwesenheit des Patienten gegenübergestellt. Diese Leistungen in Abwesenheit sind sehr limitiert. Die Leistung der Psychologen soll so den Patienten zugutekommen.
Dies ist für die Behandlung erwachsenen Patienten zielführend. Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen wird aber schlecht abgebildet.
Gespräche ohne die Patienten – zum Beispiel mit Eltern, Lehrern oder Schulsozialarbeitern – sind auf drei Stunden in einem Vierteljahr beschränkt.
«Sollte dies in Zukunft nicht mehr möglich sein, ist die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen stark gefährdet.»
Nur: Je jünger die Patienten bei psychischen Problemen sind, desto mehr müssen die Eltern einbezogen werden. Wenn man ein 5-jähriges Kind mit der Diagnose Autismus behandeln möchte, ist die Elternberatung zentral. Auch für die Behandlung des ADHS ist die Elternberatung, die Psychoedukation und die engmaschige Zusammenarbeit mit den Eltern von substanzieller Bedeutung.
Sollte dies in Zukunft nicht mehr möglich sein, ist die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen stark gefährdet.

Beschränkungen bei Tests

Auch sehr eingeschränkt ist die Auswertung von testpsychologischen Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen (die eigentliche Testpsychologie merkwürdigerweise nicht). Auch hier sind die Leistungen auf vier Stunden im Quartal beschränkt. Allerdings ist die Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen bei der Verdachtsdiagnose Autismus oder ADHS deutlich aufwändiger.
Gerade bei schwierigen Diagnosen ist eine valide testpsychologische Untersuchung von grosser Bedeutung. Wenn die Diagnostik unzureichend ist, besteht die Gefahr der Fehlbehandlung.
«Eine Lektion aus dieser Erfahrung: Bei gravierenden Eingriffen in ärztlichen oder psychologischen Tarifmodellen, die auch Kinder und Jugendliche betreffen, sollten die Fachdisziplinen für Kinder und Jugendliche beigezogen werden.»
Ähnliche Tarif-Fehler bestanden schon in dem vorherigen Tarmed-Tarif. Die Auswirkungen wurden später verringert, da neue Positionen für unter 6-jährige oder unter 18-jährige hinzugefügt wurden. Doch diese Korrekturen wurden beim Anordnungsmodell bisher nicht gemacht.
Für die Zukunft ist zu hoffen, dass diese Fehler – die nun schon seit eineinhalb Jahren bestehen – möglichst bald korrigiert werden. Dies zumal die Kinder- und Jugendpsychiatrie insgesamt deutlich unterfinanziert ist.
Eine weitere Lektion aus dieser Erfahrung: Bei gravierenden Eingriffen in ärztlichen oder psychologischen Tarifmodellen, die auch Kinder und Jugendliche betreffen, sollten zukünftig die Fachdisziplinen für Kinder und Jugendliche, Kinderärzte oder Kinder- und Jugendpsychiater, beigezogen werden.
  • Kinder- und Jugendpsychiatrie: Nun soll's der Bundesrat richten. Der Nationalrat verlangt, dass die Regierung in die Kompetenz der Kantone und der Tarifpartner eingreift.

  • psychologie
  • psychiatrie
  • Tarifsystem
  • Gastbeitrag
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Bundesrat obsiegt gegen Tarifpartner - aber nur knapp

Die Laborkosten steigen und steigen. Das Problem ist nicht der Tarif. Es ist die Menge.

image

Neue Position für Urs Peter Mosimann

Der ehemalige Insel-Direktor wird Chef und Ärztlicher Direktor der Privatklinik Wyss. Christian Imboden wechselt zu den Solothurner Spitälern.

image

Clinicum Alpinum Liechtenstein: Mitgründer tritt zurück

Marc Risch übergibt das Zepter an Pavel Ptyushkin.

image

Obsan-Studie: Tarpsy bremst Kosten

Die Pauschaltarife in der Psychiatrie zeigen Wirkung. Allerdings wuchs zugleich der Einsatz von freiheitsbeschränkenden Massnahmen und von Psychopharmaka.

image

«Datengrundlage der Pauschaltarife ist eine Farce»

Erneut wehren sich die Spezialärzte gegen «praxisuntaugliche» ambulante Pauschalen. Sie würden auf fehlerhaften Daten basieren.

image

Clienia-Chefarzt wechselt nach Winterthur

Lars Wöckel arbeitet seit 14 Jahren in Littenheid. Nächstes Jahr wird der Kinder- und Jugendpsychiater Chefarzt der Adoleszentenpsychiatrie in Winterthur.