Zwingen Krankenkassen die Patienten zu überteuerten Medikamenten?

Eine Hepatitis-C-Behandlung kostet 100'000 statt 50'000 Franken, weil sich die Kasse ans Gesetz hält. Ein Skandal? Der Fall zeigt eher, wo der Wurm steckt: im Schweizer Bewilligungsverfahren.

, 6. April 2016 um 07:34
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«Krankenkasse zwingt Patientin zu doppelt so teurer Therapie»: Schon der Titel des Beitrags im «Tages-Anzeiger» verspricht einen Aufreger. Es geht um eine Patientin, die an Hepatitis C leidet, Fibrosegrad 2. Und als Trägerin des Virus-Genotypen 4 hat sie ein Problem, Harvoni zu erhalten.
Denn das Gilead-Medikament ist in der Schweiz nur für Genotyp 1 zugelassen. Deshalb vergütet die Krankenkasse – es handelt sich um die Groupe-Mutuel-Tochter Avenir – in diesem Fall Harvoni nicht. Die Frau muss sich also einer Kombitherapie aus Sovaldi und Ribavirin unterziehen, was nicht nur belastender ist, sondern auch deutlich teurer. 

BAG: Wirtschaftlichkeit ist kein Argument

Als Zeuge für diese Interpretation tritt im TA-Artikel Markus Heim auf, Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Basel: Er und sein Team hätten schon mehrere Wiedererwägungs-Gesuche an die Krankenkasse geschrieben – umsonst.
Denn diese stellt sich auf den Standpunkt, dass sie letztlich nur Swissmedic-zugelassene Produkte vergüten kann. Und das Bundesamt für Gesundheit sieht es ebenso: «Da derzeit eine wirksame, zugelassene und vergütete Behandlungsalter­native existiert, muss der Krankenversicherer die Therapie mit Harvoni ablehnen. Die Wirtschaftlichkeit von Harvoni während 12 Wochen im Vergleich zur Sovaldi/Ribavirin während 24 Wochen stellt keinen Grund dar, eine Kostengut­sprache gutzuheissen», so die Stellungnahme des BAG.
Einzige Ausnahme wäre, dass der behandelnde Arzt dem Vertrauensarzt der Kasse darlegen kann, dass Sovaldi/Ribavirin für die Patientin unverträglich ist. 

«Gesetz ist Gesetz»

Der Beitrag wirkt also wie eiin weiteres Beispiel für grassierenden Bürokratismus im Gesundheitswesen – wobei sich die Krankenkasse allerdings solide auf die Position «Gesetz ist Gesetz» stellen kann. Bei genauem Hinsehen taucht denn auch eher ein Swissmedic-Problem auf: In der EU wie in den USA ist Harvoni auch für den Genotypen 4 zugelassen – die Schweizer Zulassungsinstanzen leisten sich hier ein Sonderzüglein. 
Im Hintergrund steht, dass Gilead damals, im ersten Bewilligungsverfahren, in der Schweiz auf eine Zulassung für Genotyp 4 verzichtete, weil es noch an Patientendaten mangelte. Dann war der erwähnte Zug eben abgefahren: Anders als in den USA und den anderen europäischen Ländern können bei Swissmedic in laufenden Zulassungsverfahren keine Daten nachgereicht werden, um eine erweiterte Anwendung des ­Medikaments zu erreichen. 
Für eine ­Zulassung für Genotyp 4 müsste Gilead ein neues Registrierungsgesuch stellen. Ein bekanntlich teures Unterfangen.  

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Gilead am TV-Pranger


Auch die Konsumentensendung «Kassensturz» machte jetzt die Hepatitis-C-Medikamente Sovaldi und Harvoni zum Thema, Hauptstossrichtung: Die zu teuren Preise für diese Medikamente führen letztlich zu Zweiklassen-Medizin – oder zwingen die Patienten, die Mittel im Ausland aufzutreiben, etwa in Indien.

  • SRF, «Kassensturz»: «Horrende Medi-Preise treiben Schweizer nach Indien», 5. April 2016.

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