Zu viele Labor-Tests, zu viele Schmerzmittel

Weiterhin bieten viele Mediziner in den Spitälern ihren Patienten zuviel des Guten. Neue Studien erhellen die Mechanismen hinter der Überversorgung.

, 6. Oktober 2016 um 09:25
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Schmerzmittel sind Zufallssache: Dies der Eindruck einer kleinen Studie, die jetzt in den «Annals of Sugery» erschienen ist. Die beteiligten Ärzte beobachteten in einem US-Spital insgesamt 642 Patienten, denen nach fünf verschiedenen Eingriffen an drei verschiedenen Stellen Schmerzmittel verschrieben worden waren: Leiste, Brust, Gallenblase. 
Maureen Hill, Michelle McMahon, Ryland Stucke et al.: «Wide Variation and Excessive Dosage of Opioid Prescriptions for Common General Surgical Procedures», in: «Annals of Surgery», September 2016.
Auffällig war, dass nur schon die verschriebenen Mengen beim gleichen Eingriff massiv voneinander abwichen. Und tendenziell wurde dabei wohl eher zu grosszügig verschrieben: Denn bei nur gerade mal 2 Prozent der beobachteten Patienten musste danach «aufgefüllt» und nochmals weitere Mittel verschrieben werden.

Einzelne nutzen fast gar nichts

Auf der anderen Seite nutzten einzelne Patienten bloss 15 Prozent der verschriebenen Schmerzmittel-Mengen. Insgesamt ergab die Beobachtung, dass die Patienten nicht einmal die Hälfte der verschriebenen Analgetika wirklich einnahmen. Oder genauer: Die Durchschnitts-Quote lag bei 43 Prozent.
Lieber zuviel als zuwenig: Dieses Motto gilt bekanntlich auch im Bereich der Blutuntersuchungen und Labortests an Spitälern – oft auch bei uns. Eine Befragung am Spital der University of Pennsylvania ging nun wieder mal den Ursachen nach.
Mina S. Sendrak, Mitesh S. Patel, Justin B. Ziemba et al.: « Residents' self-report on why they order perceived unnecessary inpatient laboratory tests», in: «Journal of Hospital Medicine», August 2016.
Und die Autoren begannen mit der Selbstdiagnose: Wird wirklich zuviel untersucht? Diese Frage wurden allen Internisten und Chirurgen der Uniklink gestellt. Die Antwort war eindeutig: 88 Prozent der Internisten und 68 Prozent der Chirurgen waren selber der Meinung, dass zuviele unnötige Laboruntersuchungen angeordnet würden. 
Interessant sind nun die Gründe, welche die Ärzte angaben:
  • Teils habe man es mit eingespielten Routinen zu tun, die gar nicht individuell überdacht wurden.
  • Teils berichteten die Assistenzärzte von Unsicherheiten und Unklarheiten darüber, was die Anforderungen sind.
  • Teils wurde erwähnt, dass man sich der Kosten nicht bewusst sei.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang also eine dritte Arbeit, die ebenfalls kürzlich in den USA veröffentlicht wurde. Dabei ging es um Möglichkeiten der Kosteneinsparung, die dadurch entstehen, weil die Ärzte exakt über die Kosten informiert werden. Konkret: Die Ärzte am Spital der University of Utah erhielten ab 2012 Zugriff auf ein entsprechendes Informationssystem. 

250'000 Dollar Einsparungen pro Jahr

Jetzt wurden die Folgen untersucht, wobei unter anderem wurden die Daten von 34'000 stationären Patienten ausgewertet werden konnten. In der Folge sanken die jährlichen Laborkosten des Spitals um rund 250'000 Dollar – offenbar weil die Ärzte im Bewusstsein um die Kosten eher geneigt waren, auf einen Test auch einmal zu verzichten.
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