Wer Schmerzmittel bekommt, hat weniger Mitgefühl

Eine Information, die auch im medizinischen Alltag nützlich sein mag: Es gibt offenbar direkte neurologische Zusammenhänge von Empathie und Schmerzgefühl.

, 1. Oktober 2015 um 07:49
image
  • forschung
  • psychiatrie
  • neurologie
Empathie und eigenes Schmerzempfinden hängt offenbar direkt zusammen: Dies zeigt ein Experiment, das von einem Team um den Psychologen Claus Lamm von der Universität Wien durchgeführt wurde.
Bei der Studie mit über 100 Teilnehmern wandten die Forscher die so genannte Placebo-Analgesie an. Das heisst: Über die Manipulation von selbst empfundenen Schmerz wurde getestet, inwiefern diese Manipulation auch zu einer Veränderung bei der Empathie für Schmerz führt.

Wie erwartet: Placebo wirkt

Konkret erhielten die Testpersonen eine Tablette unter der Zusicherung, dass es sich dabei um ein teures und wirksames Schmerzmittel handelt. Dabei war es ein Placebo.
Die Vergleichsgruppe wiederum bekam gar nichts. Die Placebo-Pille führte nun dazu, dass die Probanden bei Stromreizen auf ihrem Handrücken tatsächlich weniger Schmerzen bekundeten – ein nicht weiter überraschendes Ergebnis.

Claus Lamm, Markus Rütgen, Eva-Maria Seidel, Giorgia Silani, et al., «Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded in self pain», PNAS, September 2015

Interessanterweise sank aber auch das Mitgefühl für den Schmerz ihrer Kollegen. Die Placebo-Probanden hielten auch die elektrischen Stimuli bei den anderen Testpersonen für weniger belastend.
«Die Fähigkeit, den Schmerz anderer Personen nachzuempfinden, baut auf jenen neurobiologischen Prozessen auf, welche die Grundlage für die Empfindung von selbst erlebtem Schmerz sind», so die These der Neuropsychologen aus Wien.

Gefühle gehen uns nicht nur sinnbildlich nahe

Das geringere Schmerzempfinden der Placebo-Gruppe ging einher mit einer geringeren Gehirnaktivität im anterioren insulären Kortex und dem mittleren zingulären Cortex. «Diese Bereiche im Gehirn sind als Teile des neuronalen Empathienetzwerkes bekannt», so Lamm: «Sie stellen gleichzeitig auch zentrale Bestandteile des körpereigenen Opiatsystems dar, also jenes Systems, das an der Dämpfung von selbst empfundenem Schmerz beteiligt ist.»
Ein Fazit: Unsere Empathie gründet stark und unmittelbar in unseren eigenen Erfahrungen – bis hin zu deren körperlichen und neuronalen Grundlagen.
 «Das ist mit ein Grund, warum uns die Gefühle anderer Personen so 'nahe gehen' können – weil wir sie eben nicht nur sinnbildlich so 'nachempfinden', als ob wir sie gerade selbst erleben», erklärt der Wissenschaftler vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Universität Wien. «Andererseits erklärt es auch, warum Empathie teilweise in eine falsche Richtung gehen kann - weil wir die andere Person eben primär aus unserem eigenen Blickwinkel heraus beurteilen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Psychiatrische Dienste Aargau bündeln Angebot

Ambulatorium, Autismusberatung, Tageszentrum: Zusammen erhalten diese Angebote mehr Räume – was auch mehr Angestellte und mehr Termine ermöglicht.

image

CHUV schafft Spezialprogramm für Patienten mit Autismus

Mit einer spezifischen Betreuung und angepassten Wegen sollen beide Seiten entlastet werden – die Patienten wie das Personal.

image

Kantonsspital Aarau holt Chef Neuroradiologie aus St. Gallen

Pasquale Mordasini übernimmt die vakante Chefarzt-Position im November.

image
Gastbeitrag von Peter Baumgartner

Ambulante Psychiatrie: Ohne neue Berufsprofile und KI wird’s kaum gehen

Der Fachkräftemangel in der Psychiatrie verlangt einen massiven Umbau der Versorgung. Aber wie? Ein realistisches Zukunftsszenario.

image

Spital Emmental: Neuer ärztlicher Departementsleiter der Psychiatrie

Michael Strehlen leitet ab Oktober gemeinsam mit Christine Frötscher die Psychiatrie des Regionalspitals. Katja Montag wurde zur Co-Chefärztin befördert.

image

Neue Chefärztin für die Psychiatrie St. Gallen

Regula Meinherz ist nun die medizinische Leiterin der Psychiatrie St.Gallen in Pfäfers.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.