Tarmed: «Wir haben unsere Lehren gezogen»

Wie weiter mit und nach dem Tarmed-Eingriff des Bundes? Teil 2 des Gesprächs von BAG-Direktor Pascal Strupler und H+-Direktor Bernhard Wegmüller.

, 6. Juli 2017 um 04:00
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  • tarmed
  • praxis
  • gesundheitspolitik
Herr Wegmüller, bestreiten Sie denn, dass man kostenseitig etwas machen muss?

Wegmüller: Im Gegenteil! Aber man kann nicht einfach nur die Bereiche, die übertarifiert sind, nach unten anpassen. Man müsste auch einmal jene Bereiche anschauen, bei denen mittlerweile auf den Notfallstationen der Spitäler eine massive Konzentration der Leistungen stattfindet, weil sie sonst niemand mehr erbringen möchte.
Zum Beispiel?
Wegmüller: Die ganze Kinderversorgung ausserhalb der Bürozeiten, sie findet praktisch nur noch in den Spitälern statt. Da müsste man sich doch einmal überlegen, wieso das gewisse ambulante Leistungserbringer nicht mehr machen wollen. 
Das von Patrick Rohr geführte Interview mit Pascal Strupler und Bernhard Wegmüller erschien erstmals in der Publikation «im dialog» der CSS Versicherung. 
Teil 1 des Gesprächs über die Ursachen der Tarmed-Blockade finden Sie hier.
Wohl weil sie zu wenig verdienen?
Wegmüller: Genau, weil sie zu wenig verdienen. Wenn man nur schaut, wo man sparen kann, und nicht auch schaut, wo es noch Entwicklungsbedarf gibt, dann stimmt es einfach nicht.

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Bernhard Wegmüller
Strupler: Das Geld ist nicht der einzige Grund, warum im spitalambulanten Bereich
eine Zunahme stattfindet. Es gibt auch gesellschaftliche Gründe: Viele Leute haben keinen Hausarzt mehr. Nicht nur, weil es immer weniger gibt, sondern auch, weil die meisten jungen Hausärzte nicht mehr bereit sind, Hausbesuche 
zu machen. Die jungen Ärzte gestalten ihr Leben anders, sie sind nicht mehr gewillt, das zu machen, was ihre Vorgängergenerationen noch gemacht haben.
 Das führt zu einer Verlagerung in die Spitalambulatorien.
Herr Wegmüller wirft Ihnen vor, einseitig sparen zu wollen, ohne mehr zu geben, wo es die Entwicklung verlangt.
Strupler: Wir haben beim ersten Eingriff
des Bundes 2014 eine Umverteilung vorgenommen.

Wegmüller: Aber da haben Sie die Spitäler, die genau die gleiche Leistung erbringen wie die Hausärzte, ausdrücklich ausgenommen. Das ist für die Spitäler natürlich nicht sehr erfreulich.


«Seien wir ehrlich: Der erste Eingriff von 2014 beruhte nicht unbedingt auf betriebswirtschaftlichen Daten»


  • Bernhard Wegmüller

Strupler: Wir haben unsere Lehren gezogen. Wir sind jetzt daran, eine neue Tarifstruktur vorzubereiten, und es ist uns ein Anliegen, da eine Umverteilung vorzunehmen, die gerechtfertigt ist und die auf den effektiven Kosten der Leistungserbringer basiert.
Wegmüller: Das ist beruhigend zu hören.

Strupler: Aber wir haben noch viel zu wenig Daten, um die Berechnungen zu machen.
Wegmüller: Wir haben für dieses Projekt schon sehr viele Daten gesammelt, aber seien wir ehrlich: Der erste Eingriff 2014 war an sich eine einfache Dreisatzlösung. Am einen Ort so viel rauf, am anderen soviel runter – diese Lösung hat nicht unbedingt auf betriebswirtschaftlichen Daten beruht.
Strupler: Es stimmt, das war ein einfacher Dreisatz, aber immerhin war er für alle nachvollziehbar, insbesondere politisch, was bei den Resultaten der Tarifpartner nicht immer der Fall war. Und in diesem konkreten Fall waren die Tarifpartner überfordert von der Komplexität. Wir haben versucht, bei den Vorschlägen, die bis Ende Juni in der Vernehmlassung sind, die Komplexität verständlich abzubilden und gleichzeitig auch das ganze System transparenter und nachvollziehbarer zu machen, auf der Basis von effektiven Kosten. Das schulden wir dem Prämienzahler: transparentere Abläufe, transparentere Rechnungsstellung – und vor allem keine unnötige Mengenausweitung.


Ich hoffe einfach, dass man mit der Politik eine Lösung findet. Im Moment probiert man nämlich wieder einmal, die Datenherausgabe politisch zu verzögern, sie zu unterbinden, obwohl sie gesetzlich vorgegeben ist. Man kann nicht vom Staat verlangen, dass er auf Datengrundlagen eine Tarifstruktur erarbeitet, und ihm gleichzeitig die Daten nicht geben.
Wegmüller: Da sind wir uns völlig einig. Die Patienteninformationen müssen völlig vertraulich gehandhabt werden. Aber die kumulierten Kostendaten – und um die geht es hier – müssen zugänglich sein.
Wie geht es jetzt weiter?
Wegmüller: Was mir Sorgen macht, ist, dass ich im Moment nicht den Eindruck habe, dass wir uns wirklich am Zusammenraufen sind. Solange jeder für sich arbeitet, werden wir uns nie finden.

«Man kann nicht verlangen, dass der Staat auf Datengrundlagen eine Tarifstruktur erarbeitet, und ihm die Daten nicht geben»

Pascal Strupler

Und die Zeit drängt. Dabei hätten 
Sie seit 2014 die Möglichkeit gehabt, unter den Partnern eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Wegmüller: Das ist richtig, ja, und im Nachhinein ist es auch einfach, das festzustellen. 
An sich wollten wir uns ja partnerschaftlich einigen ...
... und das ist nicht gelungen. Irgendwann wird es schwierig, der Bevölkerung zu erklären, was da genau passiert. Der Eindruck ist: Alle wollen mehr Geld, um die Sache geht es schon lange nicht mehr.

Wegmüller: Das verstehe ich sehr gut.
Herr Strupler, was ist Ihre Hoffnung? Denken Sie, Sie können das Heft je wieder aus der Hand geben?

Strupler: Mit Hoffnungen ist man im schweizerischen Gesundheitswesen nicht gut bedient. Wir machen jetzt unsere Arbeit, und dann schauen wir.
Ihr Wunsch wäre, dass die Tarifpartner sich einigen und der Bund sich wieder zurückziehen kann?

Strupler: Natürlich! Sonst wird der Gesetzgeber dem Bund mehr Kompetenzen geben. Ich
denke nicht, dass die Tarifpartner das wollen.
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