Tarmed: «Jetzt ist man froh, dem Bund den Schwarzen Peter zuschieben zu können»

Wer ist schuld am Scheitern der Tarmed-Verhandlungen? Wie soll es jetzt weitergehen? Darüber streiten BAG-Direktor Pascal Strupler und Bernhard Wegmüller, Direktor des Spitalverbands H+.

, 6. Juli 2017 um 06:17
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  • praxis
  • bundesamt für gesundheit
Herr Wegmüller, der Spitalverband H+ hat auf Ende letzten Jahres den Rahmenvertrag gekündigt und ist aus der Tarifpartnerschaft ausgestiegen. Ist das nicht ein Schuss in den Rücken Ihrer Partner, nach all den zähen Verhandlungen?
Bernhard Wegmüller: Wir haben uns das gut überlegt. Unser Ziel war, zu sagen: Wir sollten uns wieder zusammenraufen! Die Verhandlungen waren festgefahren, und um etwas zu bewegen, haben wir den Vertrag gekündigt. Denn jetzt sind wir gezwungen, eine Lösung zu finden.
Und wenn jetzt noch mehr Verhandlungspartner aussteigen? Dann wäre wohl das ganze Werk gefährdet?

Wegmüller: Wir haben einen Vorschlag gemacht, zu dem alle anderen Verhandlungspartner nein gesagt haben. Faktisch sind unsere Partner dadurch bereits ausgestiegen.
Was wäre denn jetzt Ihr Wunschszenario? Was bräuchte es, damit Sie wieder mit im Boot wären?

Wegmüller: Grundsätzlich sind wir bei der Gesamtrevision ja mit im Boot. Das Problem ist: Nachdem der Bund angekündigt hat, einzugreifen, begannen alle Verhandlungspartner, sich gegenüber dem Bund zu positionieren statt sich zu einigen.
Pascal Strupler ist seit 2010 Direktor des Bundesamts für Gesundheit. Der studierte Jurist arbeitete in seiner Karriere unter anderem für das Finanzdepartement, das Seco und das Aussenministerium.
Bernhard Wegmüller leitet seit
13 Jahren den Spitalverband
H+, zu dem er bereits 2001 stiess, ferner ist der promovierte Naturwissenschaftler Mitglied im Verwaltungsrat von SwissDRG.
Also ist der Bund schuld an der heutigen Situation?
Wegmüller: Schuld ist ein hartes Wort, aber tatsächlich hat der Anreiz, uns untereinander zu einigen, mit der Ankündigung des Bundes abgenommen.
Also sind Sie doch schuld, Herr Strupler! Weil Sie ankündigten, bei einem Scheitern der Verhandlungen einzugreifen.
Pascal Strupler: Wir haben nicht einfach aus einer Lust heraus etwas angekündigt, es ist ein gesetzlich so vorgesehener Eingriff: Der Bund kommt unter anderem dann subsidiär ins Spiel, wenn es einen vertragslosen Zustand gibt.
Wegmüller: Ja, aber das Problem ist: Sie sagten nicht nur, Sie würden eingreifen. Sie sagten auch: Entweder ihr einigt euch, oder ihr macht uns Vorschläge, wo ihr Kürzungen vornehmen könnt. Ab dem Moment war für die Versicherer klar: Toll, wenn wir keine Lösung finden, gibt es Kürzungen. Klar, dass den Versicherern das gefällt. Wieso sollten sie dann noch mit den anderen Tarifpartnern weiterverhandeln?

«Innerhalb der Dachverbände kracht es schon länger im Gebälk, bei den Ärzten wie bei den Versicherern»

Pascal Strupler

Das scheint ein nachvollziehbares Argument, Herr Strupler.

Strupler: Wenn wir das nicht gesagt hätten, wäre das Resultat genau das gleiche gewesen. Die Tarifpartner konnten sich schon vorher nicht einigen. Und auch innerhalb der Dachverbände kracht es schon länger im Gebälk, sowohl bei den Ärzten als auch bei den Versicherern. Die Atomisierung der Interessen hat die Verhandlungen nicht einfacher gemacht.
Die FMH ist in dieser Frage sehr zerstritten, und auch die Versicherer haben sich vor drei Jahren in zwei Verbände gespalten. Spielen Sie darauf an?
Strupler: Ja. Das ganze politische System der Schweiz ist auf Konkordanz gebaut, nicht nur der Tarmed und die Tarifpartnerschaft. Damit Konkordanz funktioniert, braucht es einen Konsens. Und den gibt
es nicht mehr. Es gibt keine Figuren mehr, wie es sie zeitweise gegeben hat: Leute, die das Konkordanzsystem ernst nahmen, sich zusammenrauften und einen Konsens suchten, damit das System funktionieren konnte. Es fehlt heute der Wille, einen Konsens zu finden. 

  • Das von Patrick Rohr geführte Interview mit Pascal Strupler und Bernhard Wegmüller erschien erstmals in der Publikation «im dialog» der CSS Versicherung.

Höre ich hier einen gewissen Frust heraus?

Strupler: Ich bin nicht frustriert, aber ich stelle fest, dass man sowohl auf Seiten der Ärzte als auch auf Seiten der Versicherer möglichst viel Wettbewerb und keine staatlichen Eingriffe will. Aber jetzt, wo man keinen Konsens findet, ist man froh, den Schwarzen Peter dem Bund zuschieben zu können.

Wegmüller: Wir sind nicht froh, und wir von H+ haben auch nie angestrebt, dass der Bund jetzt Schiedsrichter spielen muss. Wir hätten auch lieber eine partnerschaftliche Lösung gehabt. Aber man muss sich auch fragen: Sind denn die gesetzlichen Rahmenbedingungen, um sich für ein System zu finden, überhaupt ideal? Der stationäre Bereich ist aus unserer Sicht bedeutend besser geregelt. 

«So eine komplexe Struktur wie den Tarmed verhandeln zu wollen, ist wohl nicht realistisch»


  • Bernhard Wegmüller

Mit den DRG?
Wegmüller: Ja, da hat man gesagt: Es gibt eine Organisation, die die Tarifstruktur regelt, und in dieser Organisation sind alle Partner dabei. Die Leistungserbringer müssen die notwendigen Daten liefern, damit man die Struktur berechnen kann. Es kann einem dann immer noch passen oder nicht, aber am Schluss hat man eine datenbasierte Tarifstruktur, und über die gibt es nichts zu diskutieren. Wir müssen uns überlegen, ob wir beim Tarmed
nicht auch diesen Weg gehen wollen, denn eine so komplexe Struktur verhandeln zu wollen, ist wahrscheinlich nicht realistisch.
Obwohl Sie einen Vorschlag auf
dem Tisch hatten, von dem Sie dachten, es sei ein guter Vorschlag?

Wegmüller: Ja, aber gewissen Verhandlungspartnern haben diese Berechnungen nicht gepasst. So einfach ist das.


«Im Gesundheitswesen ist es nicht selten so, dass die Stakeholder selber schuld sind, wenn der Staat zu viel eingreift»


  • Pascal Strupler

Strupler: Nun gut, dann ist es eben noch keine Partnerschaft, wenn nur eine Partei einverstanden ist. Sie stellen sich jetzt immer ein bisschen als Opfer dar: Sie hätten schon gewollt, aber die anderen nicht.
In einer Partnerschaft müssen alle wollen. Im Übrigen ist es im Gesundheitswesen nicht selten so, dass die Stakeholder selber schuld sind, wenn der Staat zu viel eingreift.

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Pascal Strupler
Wegmüller: Ich sage es noch einmal: Die Art, wie dieser Eingriff stattfindet, hilft sicher nicht, dass wir uns einigen. Wenn der Schiedsrichter gleich zu Beginn sagt, für wen er Partei ergreift, dann muss man
sich nicht wundern, wenn sich die Verhandlungspartner nicht einigen.

Strupler: Was heisst Partei ergreifen? Das haben wir nicht gemacht. Es ist eine Tatsache, dass die Tarifstruktur überholt ist. Die Struktur führt dazu, dass wir eine Mengenausweitung haben und dass wir Leistungen haben, die nach betriebswirtschaftlichen Verhältnissen bemessen werden, die vor bald 20 Jahren galten…
…als man den TARMED zu entwickeln begann.

Stupler: Genau. Die technische Entwicklung führt dazu, dass bestimmte Operationen heute dank moderner Technologie im Vergleich zu vor 20 Jahren viel weniger Zeit in Anspruch nehmen. Bewertet werden sie aber immer noch auf den Grundlagen von damals. Ausserdem haben wir im ambulanten und im spitalambulanten Bereich eine Mengenausweitung in einem Ausmass, das medizinisch nicht nachvollziehbar ist.

Wegmüller: Weil der Bund, die Kantone und die Versicherer forderten, mehr im ambulanten Bereich abzuwickeln.
Strupler: Aber nach wirtschaftlichen Kriterien! Ich erinnere daran, dass wir im KVG Kriterien haben, nach denen Eingriffe erfolgen müssen, und eines dieser Kriterien ist die Wirtschaftlichkeit.
«im dialog» ist die gesundheitspolitische Publikation der CSS Versicherung. Sie richtet sich an Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen aus Wirtschaft, Industrie, Politik sowie Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer. Die Publikation erscheint drei Mal jährlich in Deutsch und Französisch. 


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