Der Fall ist bekannt, und angesichts des laufenden Tarmed-Streits erschien er schon fast als historisch: Im Jahr 2014 gestaltete der Bundesrat den Ärztetarif Tarmed um – ganz offiziell mit dem Ziel, die Hausärzte besser zu stellen. Um dies kostenneutral zu schaffen, wurden andernorts die Taxpunkte gekürzt, insbesondere bei Spezialisten-Leistungen. Konkret senkte die Regierung die Preise von 2'700 ärztlichen Einzelleistungen um 8,5 Prozent: das Prinzip Rasenmäher.
Hirslanden gegen Assura
Das geht nicht. Zu diesem Schluss kommt jetzt jedenfalls das Kantonsgericht Luzern. Konkret beurteilte es einen Fall, bei dem eine Luzerner Privatklinik ambulante Behandlungen zu den Tarifen
vor dem Eingriff in Rechnung stellte; die Krankenkasse bezahlte aber nur die tieferen Kosten nach dem Bundesrats-Satz. Aus dem Streit um einige hundert Franken entwickelte sich nun ein Musterprozess, wobei –
wie die NZZ erfuhr – auf der einen Seite die Hirslanden-Klinik St. Anna steht, auf der anderen die Assura.
Die Namen der Beteiligten wurden im gestern veröffentlichten Urteil nicht genannt. Dem Text des Beschlusses lässt sich aber klar entnehmen, dass der Bundesrats-Tarif laut dem Kantonsgericht insbesondere das Gebot der Sachgerechtigkeit verletzt.
«Ein kurzer Blick auf die Komplexität des Tarifwerks Tarmed genügt, um feststellen zu können, dass die vom Bundesrat vorgenommenen Anpassungen bei den TL (Tarifleistungen) aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht haltbar sind», schreiben die Richter. Es sei recht rasch einsehbar, dass die Kürzungen der diversen Tarifpositionen aus Absichten und nach Prinzipien erfolgten, welche nichts mit den inneren Zuständen der Struktur zu tun hatten.
«…vermag nicht zu überzeugen»
«Nach dem Gesagten vermag die Auswahl der 13 von der Kürzung betroffenen Kapitel nicht zu überzeugen. Zudem lässt sich die lineare Abwertung um 8,5 % betriebswirtschaftlich nicht herleiten und begründen», so einige Kernsätze des Urteils: «Die Kürzungen erfolgten im Hinblick auf eine kostenneutrale Umsetzung der (politisch motivierten) finanziellen Besserstellung der Hausärzte im Umfang von Fr. 200 Mio. Damit führen die Anpassungen des Bundesrates nicht zu einer insgesamt sachgerechteren Tarifstruktur. Insofern ist Art. 43 Abs. 4 KVG verletzt.»
Das heisst: Das politische Ziel alleine genügt nicht für diese Art der Umgestaltung der einzelnen Positionen.
Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig, und wie Sandra Kobelt von Santésuisse gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung» andeutete, wird das Urteil wohl weitergezogen. Dennoch: Speziell interessant erscheint das kantonale Urteil im Hinblick auf den anderen, per Anfang 2018 geplanten Eingriff. Denn auch dort will der Bundesrat ja Verlagerungen weg von den Spezialisten, hin zu den Grundversorgern. Und auch dort spielt die politische Dimension stark hinein.
«Ein Schatten liegt jetzt auch auf dem von Gesundheitsminister Alain Berset in diesem Jahr angekündigten zweiten Eingriff in den Ärztetarif Tarmed», kommentierte denn auch die NZZ das Urteil von Luzern.
Damals Sparziel, heute Sparziel?
Zwar werden die jetzt geplanten bundesrätlichen Anpassungen ganz stark mit technologischen oder organisatorischen Veränderungen erklärt. Aber jetzt kam in der Vernehmlassung mehrfach der Vorwurf, dass einzelne Entscheide das Gebot der Sachgerechtigkeit verletzen.
Konkretes Beispiel: Die
Radiologen legten eine juristische Expertise vor, welche ebenfalls befand, dass der neue Tarif gegen KVG-Artikel 43/4 verstosse. Denn dass den Radiologen die Anwesenheit bei MRI- und CT-Untersuchungen überhaupt nicht mehr vergütet werden soll, sei rein wirtschaftlich begründet – aber es spiegle nicht die ärztliche Realität.
Und folglich: «Das Abstellen auf die Wirtschaftlichkeit, ohne die im Gesetz konkretisierten Grundsätze genauer zu untersuchen, wiederspricht der Sachgerechtigkeit», so die vom privaten Institut ICHI verfasste Einschätzung.