Psychiatrische Klinik kommt zu Kindern nach Hause

Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) bieten Kindern und Jugendlichen eine ganz neue Behandlungsart: Spezialisten kommen zu ihnen nach Hause.

, 1. Mai 2019 um 19:17
image
  • ärzte
  • psychiatrie
  • spital
  • kanton bern
Am morgen früh vor der Schule kommen die Psychologin und der Pfleger nach Hause, abends gibt es eine Visite der Ärztin: So könnte in der Region Bern künftig der Alltag eines jungen Menschen mit einer akuten psychischen Erkrankung aussehen.
Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der UPD testet für zwei Jahre ein neues Angebot, das Kindern und Jugendlichen längere Klinikaufenthalte ersparen soll. Die jungen Patienten können in ihrer vertrauten Umgebung bei ihrer Familie, ihren Freunden und in ihrer Schule bleiben. Denn die Ärzte, Psychologen, Pflegekräften und Pädagogen, die sie betreuen, kommen zu ihn nach Hause.

Therapie soll originell, mobil und effektiv sein

Das Projekt heisst AT_HOME. Der Name steht als Abkürzung für «Aufsuchende Therapie – zu Hause, Originell, Mobil, Effektiv». Die Behandlung sei «stationsäquivalent». Das heisst: Die «mobile Station» entspricht in der Personalzusammensetzung und in der Behandlungsintensität einer Station der Universitätsklinik.
Deshalb ist das Projekt für jene Kinder und Jugendlichen gedacht, die bisher nur in einer Klinik oder Tagesklinik behandelt werden konnten. «Da stationäre Behandlungen junge Menschen oft für längere Zeit aus ihrem Leben reissen und somit immer auch die Gefahr einer erschwerten Rückkehr in den Alltag bergen, erhoffen wir uns von der neuen Behandlungsstrategie vor allem nachhaltigere Therapieerfolge», sagt Michael Kaess, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie.

Die Betreuer arbeiten in Schichten

Das Betreuungsteam, das die Kinder und Jugendlichen zu Hause betreut umfasst ein Dutzend Mitarbeiter, die im Schichtsystem arbeiten, wie Michael Kaess ausführt. Da die Kinder einen möglichst normalen Alltag weiterführen, ist es gut möglich, dass die Teammitglieder auch mal früh morgens oder abends unterwegs sind.
Wie auf der Klinikstation werden Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte und Pädagogen ihre Besuche zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Zusammensetzung machen. Für ihre Einsätze werden sie von einer Koordinatorin eingeteilt, damit alle zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheinen.

40 Kinder können pro Jahr betreut werden

Vorderhand will die Klinik zehn Kinder zu Hause betreuen. Vorgesehen ist jeweils eine maximale Behandlungsdauer von drei Monaten. Das Projekt wird eingehend wissenschaftlich untersucht. «Wir wollen wissen, ob wir damit gleiche oder vielleicht sogar bessere Erfolge haben», sagt Michael Kaess.
Wegen der wissenschaftlichen Begleitung wählt die Klinik die jungen Patienten, die für AT_HOME in Frage kommen, ausschliesslich aus jenen Patienten aus, die eigentlich für einen Klinikaufenthalt angemeldet sind. «Nur so lassen sich die Resultate direkt mit einem regulären Klinikaufenthalt vergleichen», erklärt Michael Kaess. Aus dem gleichen Grund sollen die jungen Patienten auch nicht zuerst stationär «anbehandelt» und danach zu Hause weiterbehandelt werden.

Warteliste für die Klinik

Derzeit gibt es für reguläre stationäre Aufenthalte in der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie eine Wartezeit von zwei bis drei Monaten. Die zusätzlichen zehn «stationsäquivalenten» Plätze im AT_HOME-Projekt dürften zu einer Entlastung führen. Michael Kaess ist aber nicht sicher, ob es auch langfristig die Warteliste verkürzen wird.
Die mobile Klinik gibt es vorläufig für zwei Jahre in der der Region Bern. Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern fördert sie im Rahmen des Modellversuchs Psychiatrische Akutbehandlung zu Hause (PAH).

Ein Modell für die Zukunft?

«Sollte sich die die neue Behandlungsform als wirksam erweisen, könnte in Zukunft ein grösserer Teil der Kinder und Jugendlichen mit akuten psychischen Erkrankungen im Kanton Bern zu Hause effizient und möglicherweise geringeren Kosten behandelt werden», stellt Michael Kaess in Aussicht.
image
Michael Kaess, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, leitet das Prjekt AT_HOME. | Bild: PD
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image
Gastbeitrag von Peter Baumgartner

Ambulante Psychiatrie: Ohne neue Berufsprofile und KI wird’s kaum gehen

Der Fachkräftemangel in der Psychiatrie verlangt einen massiven Umbau der Versorgung. Aber wie? Ein realistisches Zukunftsszenario.

image

Viktor 2023: «Ich freue mich auf die Bekanntgabe der Gewinner»

Hirslanden-CEO Daniel Liedtke ist in der Jury des Viktor Awards, zugleich unterstützt die Spitalgruppe die Aktion bereits zum zweiten Mal. Weshalb, sagt er im Interview.

image

Bern: 100 Millionen, um die Spitäler zu stützen

Die Kantonsregierung plant einen Finanzschirm, damit Listenspitäler im Notfall gerettet werden können.

image

LUKS Luzern: Neuer Leiter des Radiologie-Zentrums

Alexander von Hessling ist seit 2015 am Institut für Radiologie und Nuklearmedizin des LUKS und hat die Sektion für Neuroradiologie aufgebaut.

image
Die Schlagzeile des Monats

«Es kann ja nicht sein, dass die Kernkompetenz der Jungen die Administration ist»

In unserer Video-Kolumne befragt François Muller jeweils Persönlichkeiten aus der Branche zu aktuellen Fragen. Diesmal: Michele Genoni, Präsident der FMCH.

image

Onkologie: Von diesen fünf Behandlungen wird abgeraten

Dazu gehört der Einsatz der PET für die Früherkennung von Tumorrezidiven und die prophylaktische Gabe von Medikamenten gegen Übelkeit.

Vom gleichen Autor

image

Bedrohtes Spital geht langsam wieder in Normalbetrieb

Eine 65-Jährige verschanzte sich mit einer Schreckschusswaffe in einem Aachener Spital. Die Verantwortlichen sind «zutiefst erschüttert».

image

Ärzte in der Krise: Immer mehr suchen Unterstützung

Zu viel Arbeit, Burn-Out, Angst, Selbstzweifel und Depression: Das sind die fünf Hauptgründe für Ärzte und Ärztinnen, sich Hilfe bei der Remed-Hotline zu holen.

image

Gefragter Aarauer Frauenarzt macht sich selbständig

25 Jahre lang war Dimitri Sarlos an der Frauenklinik des Kantonsspitals Aarau angestellt. Im Oktober eröffnet der Chefarzt eine eigene Praxis.