«Nicht wirklich legal, was sie da machen»

Isotretinoin kann zu schweren Missbildungen des Fötus führen – trotzdem wurden letztes Jahr in der Schweiz 15 Frauen unter dem Aknemittel schwanger. Das liegt auch an den Ärzten.

, 24. August 2016 um 06:19
image
  • medikamente
  • praxis
Die junge Frau (im Fachjargon wäre das: «Frau im gebärfähigen Alter» – und ich erwähne das nur, weil das für viele medizinische Belange noch wichtig ist, wie auch für diesen hier …) kommt in die Apotheke mit einem Rezept für Isotretinoin Kapseln 10mg.
Netterweise hat der Arzt sich für einmal an die Vorschriften gehalten und der Frau (etwa 20jährig) tatsächlich nur eine 30er Packung aufgeschrieben. Ehrlich, langsam nervt das, dass ich da inzwischen fast immer (!) Dauerrezepte und Packungen zu 100 Stück sehe.
image

Die Autorin

Pharmama ist eine eidg. dipl. Apothekerin aus der Ostschweiz mit über 15jähriger Erfahrung. Unter ihrem Pseudonym betreibt sie einen viel beachteten Blog.
Pharmama hat inzwischen auch zwei ein Bücher über ihren Alltag und ihre Berufserfahrungen veröffentlicht: «Haben Sie diese Pille auch in grün?» sowie «Einmal täglich».
Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin. — Zu «Pharmamas Blog».
In der Packungsbeilage und Fachinformation steht deutlich, dass man bei diesem Medikament bei Frauen im gebärfähigen Alter (was ja heute eine Spanne von 14 bis nach 50 umfassen kann) jeden Monat eine ärztliche Kontrolle machen muss vor dem Ausstellen eines neuen Rezeptes – sie darf wirklich nicht schwanger werden. Der Wirkstoff ist teratogen, macht also Missbildungen.
Wenn man das mit den (nicht erlaubten und trotzdem immer wieder ausgestellten) Dauerrezepten für Frauen weiss, dann verwundert es vielleicht etwas weniger, dass 2015 in der Schweiz 15 (!) Frauen unter Isotretinoin schwanger wurden. 
Fünf haben die Schwangerschaft freiwillig abgebrochen, zwei hatten Spontan-Aborte, ein Kind kam zu früh und mit Missbildungen zur Welt, eines zur Normalzeit mit Missbildungen, beim Rest ist unbekannt, wie es ausging (Swissmedic | «Vigilance News», Dezember 2015).
Auch 2014 waren es 13 Frauen die unter Isotretinoin schwanger wurden. 2012 waren es noch 5 gewesen. («Vigilance News», Dezember 2014).

Ein einfaches «sic!» würde reichen 

Meiner Meinung nach ist da jede einzelne zuviel. Deshalb habe ich Anfang Jahr an die schlimmsten Verschreiber (was das angeht) einen Informationsbrief geschrieben. Könnte ja sein, dass sie nicht wissen, dass es nicht wirklich legal ist, was sie da machen mit den Dauerrezepten für Isotretinoin.
Zumindest sollten sie dann auf dem Rezept eine Notiz machen, damit ich weiss, dass die Problematik bekannt ist, die Patientin genügend aufgeklärt und ich das wirklich als Dauerrezept abgeben soll. Ein einfaches «!» oder «sic» reicht mir dafür.

Informationsbrief verschickt – einer hat reagiert

Ausserdem habe ich sie darauf hingewiesen, dass ich auch dann keine grossen (100er) Packungen abgebe, sondern nur monatlich eine 30er Packung – so dass ich zumindest die Gelegenheit habe nachzuprüfen und zu wiederholen, dass die Kundin nicht schwanger sein oder werden darf, wenn sie das nimmt.
Gerade mal ein Arzt hat darauf reagiert. Und das war noch derjenige, der das am wenigsten macht. Wir hatten einfach die eine Kundin, der er das Medikament nicht selber mitgibt jeden Monat.

Unter den Voraussetzungen…

Aber ich schweife ab. Das Rezept hier war okay, die Kundin wusste um die Anwendung und auch, dass sie nicht schwanger werden darf, was sie mir grad mit der nächsten Frage nochmals bewies…
«Könnte ich grad noch eine Packung (Pille zum Verhüten) haben? Ich habe aber kein Rezept dabei – ich habe das zu Hause vergessen.»
Gut, sie hatte diese Pille schon einmal bei uns. Aber unter den Voraussetzungen hätte ich das garantiert auch so gegeben.
Bild: Medical Pictures Info
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Die Medikation leidet auch unter der Hitze

Bestimmte Arzneien können den Wärmehaushalt zusätzlich beeinträchtigen. Eine Aufstellung zeigt, bei welchen Medikamenten Ärztinnen und Ärzte besonders wachsam sein sollten.

image

Wochenbettdepression: Neues Medikament zugelassen

Die US-Arzneimittelbehörde FDA gibt grünes Licht für das erste orale Medikament zur Behandlung von postpartalen Depressionen.

image

Preise für teure Krebstherapien bleiben im Dunkeln

Das Bundesamt für Gesundheit ist gesetzlich nicht verpflichtet, die tatsächlich vergüteten Preise für die Krebsbehandlung mit Car-T-Zellen bekannt zu geben.

image

Swissmedic wird Teil der EU-Medikamenten-Initiative

Swissmedic schliesst sich der EU-Medikamenten-Initiative an. Das Ziel ist eine schnellere und transparentere Zulassung von Arzneimitteln.

image

Umsatzeinbruch bei Roche

Das Ende der Corona-Pandemie hat dem Pharma-Riesen zugesetzt: der Umsatz sinkt um acht Prozent auf 19,8 Milliarden Franken.

image

Swissmedic meldet mehrere Medikamente-Rückrufe

Verschiedene Pharmahersteller nehmen einzelne oder alle Chargen von fünf Wirkstoffen aus Qualitätsgründen vom Markt.

Vom gleichen Autor

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.