Fall Alkopharma: Spitäler informierten Patienten nicht

Der Fall führt zur Frage: Wo liegt die Verantwortung, wenn gefälschte Medikamente in Originalverpackung auftauchen?

, 18. Januar 2018 um 10:49
image
  • medikamente
  • qualität
Am Wochenende wurde bekannt, dass die Vertriebsfirma Alkopharma in Martigny abgelaufene, bewusst falsch datierte Dosen des Krebsmittels Thiotepa verkaufte; in der Schweiz dürften knapp 2'300 solcher Ampullen eingesetzt worden sein.
Der Fall flog bereits 2011 auf, letztes Jahr kam es zu einem ersten Urteil vor einem Walliser Gericht, allerdings ist der Fall wegen eines Rekurses der Arzneimittelbehörde Swissmedic noch hängig.
Wie die «Tribune de Genève» nun recherchierte, hatten mehrere betroffene Spitäler die Patienten nicht informiert, dass ihnen ein womöglich schlechter wirksames Medikament verabreicht worden war. Im Regionalspital Bellinzona erklärte dies ein Sprecher damit, dass die falsche Beschriftung nach damaligem Urteil «keine Konsequenzen auf der klinischen Ebene der Kranken hatte.» Jetzt aber werde man die Patienten oder ihre Familien einladen, um allfällige Fragen zu klären.
Im Genfer Unispital HUG ist eine Patientin bekannt, die betroffen war – sie ist inzwischen eine erwachsene Frau; über die Information wollten die HUG der «Tribune» keine Auskunft geben. Stärker betroffen war das Inselspital, wo im Rahmen der Swissmedic-Untersuchung 23 betroffene Patienten befragt worden waren – um allfällige klinische Folgen zu eruieren. Auch hier waren die Patienten zuvor nicht informiert worden.

Zulassung verpflichtet

Dies bestätigte indirekt Insel-Chefapothekerin Jeannette Goette in einem Interview mit dem «Bund»: Eine Information sei vorgesehen, «sobald wir die nötigen Informationen von Swissmedic erhalten haben».
Im Interview bietet Jeannette Goette interessante Hintergrund-Informationen, wie es zum «Fall Thiotepa» kommen konnte. 2005 hatte die Herstellerfirma auf eine weitere Zulassung in der Schweiz verzichtet – man musste es also in Deutschland beschaffen. Einige Jahre später trat Alkopharm als neuer Schweizer Zulassungsinhaber auf. Die Spitäler wechselten also erneut den Lieferanten; denn das ist Pflicht, wenn es einen hiesigen Zugelassenen gibt.
Für die Qualität der Produkte seien primär die Pharmafirmen verantwortlich, überprüft von Swissmedic. «Wir gehen nicht davon aus, dass Medikamente in Originalverpackungen Fälschungen sind», so die Chefapothekerin.
Indirekt spielt Goette den Ball zurück an die Behörden: «Wir sind davon ausgegangen, dass Alkopharma aufgrund ihrer Swissmedic-Bewilligung eine seriöse Firma ist. Wenn ein solches Unternehmen abgelaufene Medikamente umdatiert und verkauft, hinterlässt das ein sehr ungutes Gefühl, auch weil wir keine Möglichkeiten haben, dies zu erkennen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Krebsliga will keine Geheimpreise mehr bei Medikamenten

Ausgerechnet die Krebsliga ist dagegen: Der Bundesrat soll künftig keine vertraulichen Rabatte mehr mit der Pharmaindustrie vereinbaren.

image

Fencheltee im Visier von Swissmedic

Das Heilmittelinstitut rät Schwangeren, Säuglingen und Kindern unter 4 Jahren von einer Einnahme ab. Das in Fencheltee enthaltene Estragol könnte die Gesundheit schädigen.

image

Viele neue Krebs-Medikamente haben wenig Nutzen

Besonders enttäuschend erscheinen dabei die Wirkstoffe, die in Europa nach einem beschleunigten Verfahren zugelassen wurden.

image

Der Preisüberwacher fordert tiefere Spitaltarife und offenere Grenzen

Stefan Meierhans präsentiert acht Vorschläge für ein günstigeres Gesundheitswesen.

image

Viktor 2023: «Nur gemeinsam lassen sich Visionen und Lösungen schaffen»

Die Post entwickelt sich zu einem starken Player in der Gesundheitsbranche. Weshalb ihr Engagement für den Viktor bestens dazu passt, erläutert Leiter Branchenlösungen Daniel Vögeli im Interview.

image

Cresomycin: Den Namen muss man sich wohl merken

Jetzt reden sie schon von «Super-Antibiotikum»: Ein Team der Harvard University präsentierte einen Wirkstoff, der zur Waffe gegen multiresistente Bakterien werden könnte.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.