Es mangelt an Fachleuten – nicht an Intensivpflegebetten

Das Gerücht, dass es zu wenig Intensivpflegebetten gibt, ist falsch. Richtig ist: Es gibt zu wenig Personal, welches die Patienten betreut, die Intensivpflege brauchen.

, 8. September 2021 um 19:19
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Gibt es in der Schweiz tatsächlich zu wenig Intensivpflegebetten, wie es immer wieder heisst? Und hat deren Zahl in den letzten anderthalb Jahren sogar abgenommen? Die Antwort lautet beide Mal: Nein.

Es waren und sind 866 Betten

Die tatsächliche Anzahl der durch die SGI zertifizierter Intensivbetten in der Schweiz beträgt 866. Diese Zahl bestätigt Harald F. Grossmann, Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), gegenüber Medinside.
Er versichert: «Diese Zahl hat während der Pandemie nicht ab- oder zugenommen. Allerdings», schränkt Grossmann ein, «werden nie alle zertifizierten Betten auch tatsächlich betrieben». Dies sei auch schon vor der Pandemie so gewesen.

2,5 Vollzeitstellen pro Bett nötig

Der Grund dafür liegt beim Personal: Es hat nicht genug ausgebildete Leute. Die Vorgaben für den Personalbestand auf Intensivstationen sind streng: Pro Bett auf der Intensivstation sind 2,5 Vollzeitstellen nötig.
«Es gilt hierbei auch zu berücksichtigen, dass Covid-19-Patienten auf der Intensivstation allgemein einer aufwendigeren Betreuung bedürfen also mehr Personal pro Patienten gefordert ist», fügt Harald F. Grossmann, Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) an.

Es ist unklar, wie viel Personal fehlt

Wie prekär der Personalmangel in der Intensivpflege ist, kann die SGI nur aufgrund von Schätzungen sagen. Die SGI rechnet damit, dass rund 10 bis 15 Prozent der Expertinnen Intensivpflege seit Beginn der Pandemie gekündigt und weitere ihr Pensum reduziert haben. Auch Nachwuchs ist nicht in Sicht: 2020 schlossen nur rund 250 Personen die zweijährige Zusatzausbildung für die Intensivpflege ab, das waren laut SGI 50 weniger als noch 2016.
Handkehrum stiegen zu Beginn der Pandemie etliche ehemalige Intensivpflegefachleute, die ihrem Beruf eigentlich den Rücken gekehrt hatten, wieder mit viel Motivation ein. Es lässt sich derzeit nicht sagen, ob diese inzwischen bereits wieder ausgestiegen sind oder ob sie weiterarbeiten.

77 Prozent Covid-Patienten in Solothurn

Fast alle Intensivstationen der Schweizer Spitäler haben mit Überlastung zu kämpfen. Derzeit am meisten Covid-19-Patienten behandeln die Kantone Solothurn und Schaffhausen (siehe Grafik). In Solothurn beträgt deren Anteil 77 Prozent, in Schaffhausen 67 Prozent.
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Besonders hohe Auslastung in Zürich

Doch auch im Kanton Zürich ist die Lage prekär. Dort ist zwar der Anteil an Covid-19-Patienten geringer, nämlich 37 Prozent. Doch dafür ist die Gesamtauslastung der Intensivstationen in Zürich besonders hoch. Zwei Beispiele:

Winterthur: Sieben Patienten statt nur einer

Gestern mussten am Kantonsspital Winterthur (KSW) sieben Covid-Patienten auf der Intensivstation behandelt werden. Mitte Juli, also vor knapp zwei Monaten, war es nur ein einziger Patient.

USZ: 64 Betten, fast alle belegt

Am Universitätsspital Zürich (USZ) gibt es 64 Intensivpflege-Betten. Für alle stehe genug Fachpersonal zur Verfügung, erklärte USZ-Sprecher Claudio Jörg gegenüber Medinside. Die Zahl der belegten Betten variiere ständig. «Im Schnitt sind in diesen Tagen 62 der 64 Betten belegt. Damit ist die Intensivstation voll», erklärt Jörg. «Wir versuchen, jederzeit ein bis zwei Betten für Notfälle freizuhalten.»
Die freien Betten braucht es etwa für Schwerverletzte, Patienten mit Herzinfarkten oder mit Hirnblutungen. Je mehr Covid-Patienten aufgenommen werden, umso weniger Reservebetten stehen zur Verfügung.

Schwerkranke müssen warten

Das hat auch zur Folge, dass möglichst wenig Patienten operiert werden, die danach einen Aufenthalt auf der Intensivstation brauchen. Derzeit werden am USZ zum Beispiel Tumor-, Herz- oder Hirnoperationen verschoben. Diese Patienten müssen derzeit auf ihre Eingriffe warten.

Privatspital sagt heikle Operationen ab

Die private Klinik Hirslanden in Zürich sagt ebenfalls wegen Engpässen auf der Intensivstation grosse Eingriffe ab. Dies obwohl die Klinik immerhin 22 zertifizierte Betten hat.
Laut dem Direktor Marco Gugolz werden derzeit neun Patienten auf der Intensivstation beatmet. Alle seien ungeimpft. Gugolz betont: «Wir kämpfen wie die anderen Spitäler mit der Auslastung, da die Intensivbetten in einem grossen Spital eigentlich auch ohne Pandemie voll sind.» Zudem ist auch die Privatklinik nicht gefeit vor dem Mangel an Fachkräften.
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