Im ambulanten Bereich erarbeiten die Schweizer Akutspitäler Jahr für Jahr einen Verlust.
Laut dem Bundesamt für Gesundheit resultierte für 2015 ein Minus von 472 Millionen Franken. Wenn nur die von der Grundversicherung vergüteten Behandlungskosten berücksichtigt werden, beträgt das Defizit sogar 724 Millionen Franken.
Andrea Rytz, CEO der auf orthopädische Eingriffe spezialisierten
Schulthess Klinik, ist ebenfalls mit dieser Situation konfrontiert. «Egal wie wir rechnen, liegt unser Kostendeckungsgrad im ambulanten Bereich bei höchstens 85 Prozent», stellt sie nüchtern fest. Für die Liste des Kantons Zürich, die für bestimmte Eingriffe die Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich verlangt, hat Rytz dennoch Verständnis: «Die Durchsetzung des Grundsatzes ambulant vor stationär geht in Ordnung, wenn die Verlagerung medizinisch gerechtfertigt ist.»
Loslösung vom stationären Spitalbetrieb
Auf längere Sicht ist es für die Steuer- und Prämienzahler nicht akzeptabel, wenn der stationäre Bereich den ambulanten quersubventioniert. Andrea Rytz ruft dennoch nicht nach höheren ambulanten Tarifen, sondern sucht nach einer nachhaltigen Lösung. Handlungsbedarf sieht sie vor allem bei den Spitälern selber: «Die ambulanten Behandlungen sind bei weitem noch nicht optimal organisiert. Wir sind zu wenig schnell, es gibt noch zu viele Wartezeiten. Wenn für ambulante Eingriffe gewisse stationäre Infrastrukturen mitgenutzt werden, zum Beispiel Operationssäle, sind Friktionen unvermeidlich.»
Ihre Vision ist eine «ambulante Spur» – die vollständige betriebliche Trennung des ambulanten Bereichs von den stationären Prozessen.
Der Autor
Paul Rhyn, SantésuissePaul Rhyn leitet das Ressort Kommunikation bei Santésuisse. Er ist seit 2006 für den Krankenversicherer-Verband tätig, davor arbeitete er unter anderem vier Jahre lang für das Gesundheitsdepartement des Kantons Aargau.
Und noch eine andere Rechnung hat das Team von Andrea Rytz gemacht: «In der aktuellen Organisation des Spitalbetriebs kommen wir schlicht nicht auf genügend ambulante Fälle, um mit den jetzigen Preisen des Tarmed die Kosten zu decken.» Diese Feststellung lässt aufhorchen. Denn die Schulthess Klinik verfügt durch die Spezialisierung auf die Orthopädie und den hohen Anteil von planbaren Wahleingriffen bereits über eine bessere Ausgangslage als Allgemeinspitäler.
«Der Ort ist nicht wichtig»
Um die betriebliche Seite zu optimieren, schlägt Andrea Rytz deshalb einen visionären Schritt vor: «Ein Operationszentrum für ambulante Wahleingriffe kann den ganzen Kanton Zürich abdecken. Die Chirurgen der einzelnen Spitäler könnten dieses Ambulatorium für die Wahleingriffe ihrer Patienten nutzen.»
Als Vorteile dieser «ambulanten Spur» sieht Andrea Rytz die bessere Auslastung der Infrastruktur und optimale betriebliche Abläufe durch die Loslösung vom stationären Spitalbetrieb. Auch beim Personal ortet Andrea Rytz Optimierungspotenzial: «Für die Qualität der Eingriffe ist der Operateur und die Infrastruktur entscheidend, der Ort ist nicht wichtig. Beim Operationsteam muss der «Grade-Skill-Mix» stimmen. Bei ambulanten Wahleingriffen braucht es keine hochbezahlten Operationsassistentinnen – gut ausgebildete Fachangestellte Gesundheit sind genauso in der Lage zu assistieren.»
Nächste Stufe: Gemeinsamer Einkauf
Unter dem Eindruck der laufend steigenden Prämien ist Andrea Rytz überzeugt, dass die Leistungserbringer ihren Beitrag zur Kostendämpfung leisten müssen. Viel Potenzial liegt ihrer Meinung nach bei der engeren Zusammenarbeit der Spitäler: «Wenn zum Beispiel beim Einkauf von Implantaten nicht jeder für sich schaut, könnten Millionen eingespart werden.» Um effektiv die Kosten zu senken, hegt Andrea Rytz deshalb auch Sympathien für ambulante Pauschalen: «Wir kennen die genaue Struktur von Tages-DRG-Pauschalen noch nicht, aber mit ambulanten Pauschalen könnten gewisse Fehlanreize korrigiert werden.»
Rytz' Forderung nach vermehrter Zusammenarbeit der Spitäler lebt die Schulthess Klinik bereits nach. «Wir sind eingebunden in den Gesundheits-Cluster Lengg am Zürichberg, zu dem neben weiteren Institutionen das Kinderspital Zürich, die Universitätsklinik Balgrist und die Klinik Hirslanden gehören.» Ein Synergieprojekt wurde soeben eingeleitet, um die bestmögliche gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen für Versorgung, Lehre und Forschung zu definieren.
Bei der Förderung der Zusammenarbeit erhofft sich Andrea Rytz auch ein vermehrtes Engagement der Gesundheitsdirektionen: «Die Kantone als Spitalplaner können die Akteure zusammenbringen. Sie können auch im ambulanten Bereich Impulse geben und haben aufgrund ihrer Daten die Übersicht ». Überhaupt solle die Rolle der Kantone viel stärker auf das Setzen von Leitplanken ausgerichtet sein.