Notfall: Wenn schon Taxe, dann flächendeckend

Die Politik fordert eine 50-Franken-Gebühr für Bagatellfälle auf dem Spital-Notfall. Doch es gibt schlauere Lösungen. Ein Vorschlag von Alex Steinacher.

Gastbeitrag von Alex Steinacher, 17. April 2024 um 09:48
image
Wer schätzt ein, was ein echter Notfall ist? Einsatz im Notfallzentrum eines Kantonsspitals, hier in Winterthur  |  Bild: KSW
Um es klar und deutlich zu sagen: Das Aufsuchen der Notfallstation sollte eigentlich jedem, der dringend Hilfe braucht, offen stehen. Bezahlt über die Grundversicherung.
  • Der Autor: Alex Steinacher arbeitet als Facharzt für Innere Medizin in Müllheim und ist Präsident der Ärztegesellschaft Thurgau. Er veröffentlichte diesen Beitrag zuerst auf seiner LinkedIn-Seite.
Das Problem dabei ist: Wer ist ein Notfall? Meine regelmässige Arbeit in der hausärztlichen Notfallpraxis, die dem eigentlichen Spitalnotfall vorgelagert ist, zeigt Folgendes:
Vorsichtig geschätzt sind mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten keine «echten» Notfälle im medizinischen Sinne. Es ist mir bewusst, dass es für den Laien zuweilen schwierig sein kann, dies selbst einzuschätzen. Unsere Gesellschaft ist zunehmend unsicher und unselbstständig geworden, was die Selbsteinschätzung weiter erschwert.
Folgende Konstellationen gelten als heikel:
  • Je nach kultureller Prägung wird die Notfallstation auch gerne grundsätzlich direkt aufgesucht.
  • Im Zuge des Grundversorgermangels nimmt ferner die Zahl derjenigen zu, die gar keinen Hausarzt haben und sich deshalb direkt melden.
  • Einige stecken in der Schuldenfalle und haben gar einen Leistungsstopp bei der Krankenkasse; der Notfall als oft einziger Ausweg.
  • Und dann gibt es noch jene Gruppe, welche das 24/7/365-Angebot aus Convenience-Gründen schätzt, weil man erst um 20 Uhr von der Arbeit nach Hause zurückgekehrt ist oder der Fussballmatch halt erst um 22 Uhr fertig war...
So gross auch die Versuchung ist, in gewissen Fällen 50 Franken zu verlangen: Es verkompliziert und verlängert das Notfallprozedere weiter. Die einen werden die «Strafe» uneinsichtig ablehnen, die anderen werden die 50 Franken ohnehin nicht dabei haben. Und einigen wird es egal sein.
Ob der dämpfende Effekt somit gross genug ist, um den Zusatzaufwand zu rechtfertigen, kann ich nicht sagen.
Was wäre ein möglicher Lösungsweg?
1️⃣ 50 Franken Taxe pro Besuch der Notfallstation bar oder per Kreditkarte. Flächendeckend und breit kommuniziert, ausnahmslos! Andere Länder machen es vor. Das muss dann auch für dezidierte Notfallpraxen und -permanencen sowie beim Hausarzt out of hours gelten, damit keine Umgehungswege entstehen.
2️⃣ Modus einer Rückerstattung im Falle eines echten Notfalles. Entscheid durch den Arzt nach klaren, vorher festgelegten Kriterien im Anschluss der Konsultation.
Oder: Grundsätzliche Erhöhung der Franchise und Rückerstattung bei Nicht-Beanspruchung durch ungerechtfertigte Notfallkonsulationen.
3️⃣ Breite Sensibilisierungskampagne zur Entlastung der Notfallstationen.


  • spital
  • Gesundheitskosten
  • Notfälle
  • notfallzentrum
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Clever statt teuer: Neue Wege für die Pflege

Die zweite Etappe der Pflegeinitiative lässt sich stemmen – auch ohne höhere Prämien oder mehr Steuergeld. Wenn man bereit ist, über den Tellerrand zu schauen. Denn der Staatshaushalt hätte Spielraum.

image
Gastbeitrag von Felix Schneuwly

Eingebildete Explosionen und teure Luftschlösser

Jedes Jahr gibt es dieselbe Diskussion über steigende Gesundheitskosten. Und jedes Jahr die gleichen Rezepte: Einheitskasse, mehr Staat, Pauschalbudgets. Diesmal alles auch in Buchform.

image

Auf dem richtigen Weg

Der Markt für Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) befindet sich in einer Phase tiefgreifender Transformation. Die aktuellen Trends und Herausforderungen der Branche sowie die Erwartungen der Kliniken beleuchtet Dirk Müller, Director Product Management CIS4U bei Dedalus HealthCare.

image

Herzschrittmacher: Schweizer Spitäler in der Preisfalle

Eine NZZ-Recherche bestätigt enorme Preisunterschiede bei Implantaten: Für denselben Herzschrittmacher bezahlen Schweizer Spitäler teils das Fünffache deutscher Kliniken. Der Preisgraben wirft Fragen zur Einkaufspolitik auf.

image

Die Prämien steigen nächstes Jahr um 4,4 Prozent

Die durchschnittliche Teuerung der Krankenkassen-Kosten liegt damit im Rahmen der Erwartungen.

image

Medis im Ausland günstig kaufen? Vergiss es

Der Ständerat will nicht, dass Kosten gespart werden, indem der Kauf von Medikamenten im Ausland zulasten der Grundversicherung ermöglicht wird.