Leichenschau bringt kaum Verbrechen zu Tage

In Bremen fragt man nach dem Nutzen der «qualifizierten Leichenschau». Denn von rund 57’000 genauer inspizierten Verstorbenen erwies sich nur eines als Mordopfer.

, 14. Dezember 2023 um 07:48
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Gerichtsmediziner Alois Semmelweis in der SRF-Serie «Der Bestatter» deckte viele Verbrechen auf. In Bremen ist die Leichenschau weniger erfolgreich. | Screenshot SRF
Vor sechs Jahren führte das deutsche Bundesland Bremen die so genannte «qualifizierte Leichenschau» für alle Verstorbenen ein. Entgegen den Erwartungen sei bisher allerdings nur ein einziges Tötungsdelikt auf diesem Wege aufgedeckt worden, wie das Gesundheitsportal «Medscape» meldet.
Bremer Politiker stellen nun die Sinnfrage: Hat die qualifizierte Leichenschau, für die die Hinterbliebenen immerhin rund 230 Euro bezahlen müssen, ihren Sinn verfehlt?
Bei der qualifizierten Leichenschau müssen spezielle Leichenschauärzte die tote Person unabhängig vom Haus- oder Notarzt zusätzlich untersuchen. Sie nehmen eine äussere Leichenschau vor. Seit 2017 wurden rund 57’000 Leichen auf diese Art untersucht.

Kein Suizid

Bei jenem einzigen Fall, bei dem durch die Leichenschau ein Tötungsdelikt aufgedeckt wurde, handelte es sich um eine 44-Jährige, bei welcher man zuerst von einem Suizid ausging, aber nach der qualifizierten Leichenschau durch einen Rechtsmediziner klar war: Die Frau wurde erstickt.
Studien zufolge müsste die Zahl der entdeckten Tötungen allerdings viel höher liegen. So ergab eine Arbeit des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Münster, dass jährlich 1’200 Tötungsdelikte in Deutschland nicht entdeckt werden.

Mehr Obduktionen nötig

Man müsste mehr Obduktionen machen, um mehr Tötungsdelikte aufzudecken, findet der Bremer Rechtsmediziner Olaf Cordes. Er schätzt, dass in Bremen nur rund zwei Prozent aller Gestorbenen obduziert werden. Eine höhere Obduktionsrate wäre allerdings auch teurer.
Zudem können Obduktionen offenbar auch nicht alles. «Wir hatten schon Obduktionen, nach denen wir hinterher auch nicht klüger waren», erzählt Cordes: «Erst ein toxikologisches Gutachten zeigte dann zum Beispiel, dass da offenbar ein Mensch absichtlich durch eine hohe Dosis von Blutdrucksenkern umgebracht wurde.»

Todesursache häufig eine andere

Obwohl die Leichenschauen wenig zur Aufdeckung von Verbrechen beitragen, können sie bei den Angehörigen zu grösserer Gewissheit über die Todesursache führen. Denn es zeigte sich, dass sich die Todesursache nach der Leichenschau relativ häufig änderte.
Bremen wird die Leichenschau vorläufig beibehalten. Aber ein Politiker will, dass sie nicht mehr von den Angehörigen bezahlt werden muss. Die Leichenschau sei ja Staatsaufgabe. Also müsste auch der Staat für die Kosten aufkommen.
  • praxis
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