Gehören Dolmetschdienste in den Leistungskatalog?

Der Ständerat will, dass Dolmetschdienste im Gesundheitswesen über die obligatorische Grundversicherung abgerechnet werden können.

, 26. September 2023 um 11:15
image
Laut Mitte-Ständerat Peter Hegglin sollen betroffene Personen bei medizinischen Behandlungen Verwandte oder Bekannte mitnehmen, die die Sprache kennen. | Screenshot
Wenn eine SP-Nationalrätin und ein FDP-Ständerat gleichzeitig eine Motion gleicher Zielsetzung und mit gleichem Wortlaut einreichen, so kann fast nichts mehr schiefgehen. Das zeigte sich am Mittwochmorgen im Ständerat.

Verständnisproblem

So verlangen die Bernerin Flavia Wasserfallen und der Luzerner Damian Müller eine national einheitliche Vergütungspflicht von Dolmetscherkosten bei Gesundheitsdienstleistungen. Damit soll die Verständigung zwischen Patientinnen und Patienten und medizinischen Leistungserbringenden garantiert werden.
Just am Tag, an dem Gesundheitsminister Alain Berset erneut unliebsame Prämienerhöhungen kommunizieren muss, stimmt der Ständerat der Motion mit 19 zu 14 Stimmen bei 6 Enthaltungen zu. Das letzte Wort hat aber der Nationalrat.

Gegen einen Leistungsausbau

Der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin plädiert umsonst gegen diesen Ausbau des Leistungskatalogs in der Grundversicherung. «Die Kostenfolgen wären erheblich und heute noch nicht abschätzbar», sagt er.
Laut Hegglin gäbe es auch die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu handeln. Die betroffenen Personen könnten bei medizinischen Behandlungen Verwandte oder Bekannte mitnehmen, die die Sprachkenntnisse haben und damit entsprechend übersetzen können. Sie könnten auch Leistungserbringer aufsuchen, die über die gewünschten Sprachkenntnisse verfügen. «Diese kostengünstigen Massnahmen würden dann aber durch die Einführung einer Vergütungspflicht für professionelle Dolmetscherdienste zurückgehen und durch teure Leistungen ersetzt», moniert Hegglin.

Fehldiagnosen sind teurer als Dolmetscher

Aber ist es eine Ausweitung? Führt die Kostenübernahme für Dolmetschdienste zu einer Kostensteigerung? Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller ist vom Gegenteil überzeugt.
«Ja, die Vergütung von Dolmetsch-Leistungen kostet», sagt der Luzerner, «aber sie kostet weitaus weniger als die Fehlversorgung aufgrund sprachlicher Hürden, und die gibt es.»
Und weiter: «Wir verlangen hier immer wieder und zu Recht Kosteneffizienz im Gesundheitswesen. In diesen Fragen haben wir die Möglichkeit, diese Forderung in die Praxis umzusetzen.»
Die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Dolmetsch-Leistungen ist daher laut Damian Müller eine wesentliche Bedingung für eine kosteneffiziente und qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung.

Sache der Tarifpartner

Auch der Bundesrat unterstützt das Anliegen der Motionären. Er sagt aber auch, dass es dazu keiner Gesetzesänderung bedarf. Er verweist auf die Tarifautonomie und erklärt, dass schon heute die Tarifpartner den mit diesem Aufwand verbundenen Kostenanteil auf die Tarife überwälzen könnten, sofern die Dolmetscherdienste «notwendiger Bestandteil der medizinischen Behandlung sind».
Für Damian Müller liegt aber gerade hier das Grundproblem: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die nötige Gesetzesgrundlage bestehe und die Umsetzung Sache der Tarifpartner sei. Nur funktioniert das eben nicht», sagt er. Dass sich der Bundesrat künftig für die Regelung der Dolmetscherdienste starkmachen will, sei zwar schön. Aber dazu habe er ja schon lange die Gelegenheit.

Abwarten und beobachten?

«Wir können also entweder weiterhin zuwarten und beobachten, ob sich das BAG und die Tarifpartner untereinander auf eine Lösung verständigen können; nur stimmen die erfolglosen Versuche der letzten Jahre eher wenig optimistisch», so Müller.
Genau das scheint der Bundesrat zu tun: «Liegt es wirklich jedesmal am Bund, eine Gesetzesänderung vorzunehmen, nur weil die Tarifpartner ihre Arbeit nicht machen oder das Problem nicht lösen?» fragt Bundesrat Alain Berset rhetorisch. «Sie kennen doch die Tarifpartner», so Berset an die Adresse der Ratsmitglieder, «sagt ihnen, das Problem sei wichtig und sie mögen es doch endlich lösen.»
image
Wieweit Dolmetscherdienste über die Grundversicherung abgerechnet werden können, sei Sache der Tarifpartner, erklärt Gesundheitsminister Alain Berset in der Ständeratsdebatte. | Screenshot

Das sagt das Gesetz

Gemäss dem Krankenversicherungsgesetz (KVG) stellen Dolmetscherdienste keine Leistungen dar, die der direkten Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen.
Zudem gehören professionelle interkulturelle Dolmetschende nicht zu den Leistungserbringern, die zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abrechnen können.
Professionelle Dolmetschdienste können jedoch als Teil der medizinischen Leistung betrachtet werden, wenn sie sich als einzig mögliche Lösung für die Durchführung einer medizinischen Untersuchung oder Behandlung erweisen. Oder wenn sie für den therapeutischen Erfolg unerlässlich sind.
Das gilt auch für gehörlose Menschen, die auf eine Verdolmetschung in Gebärdensprache angewiesen sind.

image
Laut dem FDP-Ständerat Damian Müller kostetn Dolmetschleistungen weniger als die Fehlversorgung aufgrund sprachlicher Hürden. | Screenshot

  • politik
  • KVG
  • Ständerat
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Bund soll Tomographie-Untersuchungen kontrollieren

Zu teure Untersuchungen: Die Eidgenössische Finanzkontrolle fordert mehr Aufsicht. Zu vieles liege im Ermessen der Ärzte und Ärztinnen.

image

Zuerst in die Apotheke statt in den Notfall

Das fordert GLP-Nationalrat und Pflegefachmann Patrick Hässig. Er befürwortet deshalb eine 50-Franken-Gebühr für unnötige Notfallbesuche.

image

Notfall: Die Bagatellgebühr rückt näher

Wer den Spital-Notfall aufsucht, erhält einen Zuschlag von 50 Franken auf den Selbstbehalt: So will es die Gesundheitskommission des Nationalrats.

image
Die Schlagzeile des Monats

«Man kann ja immer noch ‚Spital‘ drüberschreiben»

In unserer Video-Kolumne befragen wir Experten aus der Branche zu aktuellen Themen. Diesmal: Andri Silberschmidt, Nationalrat, Gesundheitspolitiker, Unternehmer.

image

Zürich: Fliegender Wechsel im Amt für Gesundheit

Jörg Gruber folgt auf Peter Indra, der sich «neuen Aufgaben zuwenden» möchte.

image
Gastbeitrag von Andri Silberschmidt

Es braucht mehr Wettbewerb bei den Laboranalysen

Ärztetarife werden ausgehandelt – aber bei den medizinischen Labors legt der Staat die Preise fest. Warum? Und vor allem: Wie lange noch?

Vom gleichen Autor

image

«Hospital at Home ist Medizin im Team»

Die Spitex will beim Konzept Hospital@Home von Beginn weg eine zentrale Rolle spielen. Das ist aber nicht überall der Fall.

image

Palliative Care: «Wir brauchen nicht mehr Betten in Spitälern, aber in Hospizen»

Renate Gurtner Vontobel, die ehemalige Geschäftsführerin von Palliative.ch, blickt auf ihre fünfeinhalbjährige Amtszeit zurück.

image

«Kritiker der Komplementärmedizin haben eine zu einseitige Sicht»

SP-Ständerätin Franziska Roth kritisiert im Interview die Haltung von Gegnern der Komplementärmedizin. Sie verkennen den Wert der ärztlichen Expertise.