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Werden EU-Gesundheitsfachpersonen diskriminiert?

Um ambulant zulasten der Krankenversicherung tätig zu werden, müssen Gesundheitsfachpersonen vorgängig Berufserfahrung in der Schweiz erworben haben. Davon besonders betroffen sind EU-Pflegefachkräfte. Dieses Erfordernis verstösst gegen das EU-Freizügigkeitsabkommen.

, 14. April 2023 um 10:12
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Seit dem 1. Januar 2022 gelten neue Anforderungen für Leistungserbringer, die ambulant erbrachte Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen möchten. Diese Anforderungen betreffen auch Pflegefachpersonen, Physio- und Ergotherapeutinnen oder Logopädinnen und Ernährungsberaterinnen. Angesichts des ausgeprägten Fachkräftemangels sind davon auch Organisationen betroffen, die Gesundheitsfachpersonen aus dem benachbarten EU-Ausland beschäftigen möchten.
Neues Recht – neue Anforderungen
Das neue Zulassungsrecht stellt höhere Anforderungen an Personen, die Leistungen zulasten der OKP erbringen wollen. Dadurch soll die Qualität und die Zweckmässigkeit der über die OKP abgerechneten Leistungen gewährleistet werden. Diese sollen qualitativ hochstehend sein. Dazu ist neu erforderlich, dass Leistungserbringer über praktische Berufserfahrung verfügen, wie sie im Krankenversicherungsgesetz (KVG) und den entsprechenden Verordnungen näher ausgeführt werden. So müssen Ärztinnen und Ärzte während mindestens drei Jahren im beantragten Fachgebiet an einer anerkannten Weiterbildungsstätte in der Schweiz gearbeitet haben. Ähnliches gilt auch für Gesundheitsfachpersonen, die auf ärztliche Anordnung tätig sind. Auch diese müssen eine praktische Tätigkeit unter Aufsicht einer in der Schweiz zur Abrechnung zugelassenen Fachperson während mindestens zwei Jahren ausgeübt haben. Entsprechendes gilt auch für psychologische Psychotherapeutinnen und –therapeuten, welche mindestens 12 Monate in einer anerkannten psychotherapeutisch-psychiatrischen Weiterbildungsstätte in der Schweiz tätig gewesen sein müssen.
Doch damit nicht genug: Bei jedem Kantonswechsel müssen ambulant tätige Leistungserbringer eine neue Zulassung einholen. Nach Auffassung des BAG steht dafür das vereinfachte Verfahren nach dem Binnenmarktgesetz nicht zur Verfügung. Vielmehr müssen die Zulassungsvoraussetzungen in einem aufwändigen Verfahren von neuem geprüft werden. Dies stellt vor allem für kantonsübergreifend tätige Spitex-Organisationen eine grosse Belastung dar.
Diese Einschränkungen stehen in Widerspruch zum Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Es ist deshalb wenig einsichtig, warum der Zugang aus dem benachbarten Ausland erschwert wird, wenn es im Inland an dringend benötigten Gesundheitsfachpersonen fehlt. Inkonsistent ist jedoch nicht nur die politische Stossrichtung. Vielmehr verstösst das neue Zulassungsrecht auch gegen den Staatsvertrag mit der EU, der die Freizügigkeit von Schweizer und EU-Bürgern gewährleistet.
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Zweifel an der Rechtmässigkeit der neuen Einschränkungen
Bereits in den parlamentarischen Beratungen wurden Zweifel über die Vereinbarkeit der neuen Anforderungen mit dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) geäussert, vgl. Ständerat Stöckli zu den Gesprächen in der Kommission:
«Wir haben auch die Kompatibilität mit dem Freizügigkeitsabkommen diskutiert. Der Bundesrat hat gewisse Zweifel angemeldet, ob die Mehrheitslösung diesem entsprechen würde.»
Neue Aktualität haben diese Bedenken mit der parlamentarischen Initiative erlangt, mit der das Parlament eine Ausnahme vom Erfordernis der dreijährigen Tätigkeit an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte erlassen hat. Dadurch wollte es einer drohenden Unterversorgung entgegenwirken. Die Ausnahme ist aber beschränkt auf Ärztinnen und Ärzte. Ungewöhnlich deutlich hat sich der Bundesrat geäussert, indem er das Parlament aufgefordert hat, «über eine Anpassung der entsprechenden Bestimmung nachzudenken». Zwar lässt er offen, wie die Gerichte über die neuen Zulassungsbestimmungen entscheiden könnten. Zumindest aus europapolitischen Gründen ist er aber der Meinung, dass das neue Zulassungsrecht geändert werden müsse:
«Eine wie von der EU geforderte FZA-konforme Regelung in Artikel 37 KVG würde bedingen, dass dessen Regelungsinhalt ganz grundsätzlich überdacht wird.»
Besorgt über die Rechtmässigkeit des von ihnen erlassenen Gesetzes äusserten sich auch verschiedene Parlamentarier, vgl. Votum Frau Nationalrätin Manuela Weichelt:
«Die Vorlage ist eine reine Symptombekämpfung und zeigt, dass wir als Parlament unsorgfältig gearbeitet haben und nun schon wieder nachbessern müssen. […]. Die Bestimmungen im heutigen Recht stehen nicht im Einklang mit dem Freizügigkeitsabkommen. Die Bestimmungen verstossen gegen das Nichtdiskriminierungsverbot.»
Bisher beschränkte sich die Debatte um die Verletzung des EU-Freizügigkeitsabkommens auf Ärztinnen und Ärzte. Die gleichen Argumente gelten aber in gleichem, wenn nicht noch verstärktem Ausmass auch für nichtuniversitäre Gesundheitsfachpersonen. Weil der Fachkräftemangel nicht auf Ärztinnen und Ärzte beschränkt ist, ist eine Lösung umso drängender. Auch bei qualifizierten Gesundheitsfachpersonen droht eine Unterversorgung. Im Gegensatz zu den Ärztinnen und Ärzten hat das Parlament für diese aber keine abweichenden Bestimmungen erlassen.
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Was sind die praktischen Auswirkungen?
Die neuen Anforderungen wollen gewährleisten, dass Leistungserbringer mit einer möglichst grossen Zahl von Fällen und Krankheitsbildern konfrontiert wurden und über gute Kenntnisse des schweizerischen Gesundheitssystems verfügen, bevor sie ihre Tätigkeit zulasten der OKP aufnehmen. Im Gegensatz zu den Ärztinnen und Ärzten sind diese Anforderungen aber nicht im KVG verankert, sondern beruhen auf einer Verordnung des Bundesrates, zum Teil auch nur auf einer blossen Empfehlung des BAG oder einer kantonalen Behördenpraxis. Wenn es der Gesetzgeber als erforderlich erachtet hat, die Anforderungen an die praktische Berufserfahrung von Ärztinnen und Ärzten im KVG zu regeln, so muss entsprechendes auch für andere Gesundheitsfachpersonen gelten. Somit fehlt diesen Einschränkungen die demokratische Legitimation, da es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt.
Das neue Zulassungsrecht erweckt den Eindruck eines wenig durchdachten Flickwerkes. Dies wird durch die parlamentarische Initiative bestätigt, die das Parlament nur wenige Monate nach dem Inkrafttreten ergriffen hat. Aufgrund ihrer Beschränkung auf Ärztinnen und Ärzte vermag diese Massnahme den im Gesundheitswesen vorherrschenden Fachkräftemangel nicht zu mindern – geschweige denn zu lösen. Es ist nicht einsichtig, warum das Parlament diese Massnahmen auf Ärztinnen und Ärzte beschränkte ohne den Handlungsbedarf für andere Bereiche im Gesundheitswesen auch nur zu diskutieren.
Dieses Vorgehen ist umso unverständlicher, als das Parlament freimütig anerkennt, dass die sich aus dem neuen Zulassungsrecht ergebenden Einschränkungen nicht nur das EU-Freizügigkeitsabkommen, sondern grundsätzliche rechtsstaatliche Prinzipien verletzen.
Von diesen parlamentarischen Versäumnissen betroffen sind nicht nur EU-Gesundheitsfachpersonen, sondern das Gesundheitswesen in der Schweiz, das auf den Zugang zu qualifizierten EU-Fachkräften dringend angewiesen ist. Ist eine politische Lösung aber nicht in Sicht, so bleibt den Betroffenen nichts anderes als der Rechtsweg.
Gesundheitsfachpersonen, aber auch die diese beschäftigenden Organisationen, haben die Möglichkeit, diese Anforderungen gerichtlich anzufechten. In ihrer Beurteilung haben die Gerichte die rechtsstaatliche Grundlage, die öffentlichen Interessen an dieser Einschränkung und deren Verhältnismässigkeit zu prüfen. In diesem Zusammenhang von Interesse sind auch die Äusserungen verschiedener politischer Stakeholder zu berücksichtigen, welche Zweifel an der Rechtmässigkeit des neuen Zulassungsrechts aufwerfen. Dies gilt auch in Bezug auf das Erfordernis der vorgängigen praktischen Tätigkeit in der Schweiz und der Situation bei einem Kantonswechsel.

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Christoph Willi befasst sich mit der Beratung von Leistungserbringern in der Schweiz. Er ist mit den Besonderheiten des stark regulierten Schweizer Gesundheitswesens bestens vertraut. Mit Erfolg hat er Leistungserbringer vor Behörden und Gerichten vertreten.

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