Was darf denn ein lebensrettender Noteinsatz kosten?

Legen wir doch mal die Logik der Pharmabranche und der Medikamentenpreise aufs gesamte Gesundheitswesen an. Ein Denkanstoss von Claus Hysek.

, 16. November 2017 um 05:00
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Dass die Pharmaindustrie ihren Konzernchefs unanständige Löhne und selbst bei schlechter Leistung noch unanständigere Boni bezahlt, ist sattsam bekannt. Mit der Preisfestsetzung «nach der kommerziellen Tragfähigkeit» pervertieren die Verantwortlichen nun aber jeglichen Solidaritätsgedanken.
Jüngstes Beispiel ist das neue Medikament gegen Krebs von Novartis, das im amerikanischen Markt exorbitante 465’000 US-Dollar kostet. Begründung: Der Preis rechtfertige sich unter Abwägung «des medizinischen Nutzens und der kommerziellen Tragfähigkeit». Im Klartext: Big Pharma schröpft die Krankenversicherungen bis zur Schmerzgrenze und macht via Patientenorganisationen und Öffentlichkeit moralischen Druck auf die Versicherungen. Denen bleibt nichts anderes übrig als zu bezahlen. 
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    Claus Hysek

    Dr. Claus Hysek ist Apotheker und führte über 30 Jahre ein eigenes Geschäft in Biel. Er präsidiert den Verein Ifak für die unabhängigen Apotheken.

Dieses Geschäftsmodell ist unanständig und verwerflich. Wenn sich dieses Gebaren durchsetzt, gerät das Gesundheitswesen in kürzester Zeit völlig aus den Fugen, weil solche Kosten schlicht nicht mehr tragbar sind. Mehr noch: Wenn solche Dreistigkeit toleriert wird, werden andere die pervertierte Argumentation der Pharmafirmen übernehmen.
Was dürfte zum Beispiel ein lebensrettender Ambulanzeinsatz kosten, wenn er nach Abwägung von «Nutzen und kommerzieller Tragfähigkeit» festgelegt würde? Wann kostet eine Dosis Polio-Impfstoff, deren Preis heute bei knapp 20 Franken liegt, ebenfalls eine horrende Summe, weil die Pharmabosse der Meinung sind, die «kommerzielle Tragfähigkeit» sei noch nicht ausgeschöpft?

Vom Preisüberwacher kein Wort…

Doch was hört man diesbezüglich vom Preisüberwacher oder von der kürzlich von Bundesrat Berset eingesetzten Expertengruppe, die nach Sparmöglichkeiten suchen sollte? Kein Wort.
Nach wie vor klauben die «Experten» an den heute schon für den grössten Teil der Medikamente tiefen Preisen herum. Dass vor ihren Augen ohne jegliche Skrupel alles ausgehebelt wird, was bisher den Krankenversicherungsgedanken ausmachte, blenden sie aus.

…und Alain Berset träumt vom Festbetragsmodell

Sie leisten dem Geschäftsgebaren der grossen Pharmafirmen sogar noch Vorschub. Bundesrat Berset träumt immer noch von einem Festbetragsmodell, das nachweislich kleine Firmen nach und nach vom Markt verdrängt, weil nur die grossen Firmen den finanziellen Schnauf haben, um die von der Politik geforderten unwirtschaftlichen Preise halten zu können.
Die Grossen brauchen bei diesem Modell nur zu warten, bis die Kleinen in den Ruin getrieben sind oder die betroffenen Produkte vom Markt nehmen müssen. Sobald sie die Monopolstellung erreicht haben, sind sie Herr im Haus und lassen die Preise nach oben schnellen. Reale Beispiele dafür gibt es bereits genügend.
Wann endlich öffnen die Damen und Herren Experten die Augen? Es braucht den politischen Willen, solche Geschäftsmodelle nicht einfach hinzunehmen, sondern zu ächten und dagegen vorzugehen.
In der sozialen Krankenversicherung soll die ganze Bevölkerung adäquate Gesundheitsdienstleistungen erhalten. Es darf nicht toleriert werden, dass einzelne Behandlungen derart viel Geld verschlingen, dass für die grosse Mehrheit der Versicherten keine Mittel mehr übrig bleiben. Es darf kein Geschäftsmodell «medizinischer Nutzen und kommerzielle Tragfähigkeit» geben.
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