Kosten? Es geht um den Nutzen, Stupid!

In der gesundheitspolitischen Debatte reden wir stets von der Kostenentwicklung – aber kaum von der Nutzenentwicklung. FMH-Präsident Jürg Schlup will jetzt gegensteuern.

, 9. August 2017 um 10:02
image
  • gesundheitskosten
  • gesundheitspolitik
  • fmh
  • wirtschaft
Wir reden ständig von der Kostenexplosion, aber wir reden nie von einer Gesundheitsexplosion: Diesem interessanten Bias widmen FMH-Präsident Jürg Schlup und FMH-Wissenschaftlerin Nora Wille einen Beitrag in der aktuellen «Ärztezeitung». 
Konkret wissen wir ganz genau, dass die Gesamtkosten des Gesundheitswesen bei der Einführung des KVG 1996 bei knapp 40 Milliarden Franken lagen; jetzt, zwei Jahrzehnte später, erreicht die Summe 76,4 Milliarden. 
Wir wissen andererseits, dass der medizinische Fortschritt neben der Alterung der Gesellschaft dabei ein wichtiger Faktor war. Schlup und Wille stellen nun die Frage in den Raum, weshalb man in diesem Fall eher von «Kostentreibern» spricht, obwohl beides ja sehr positiv ist: Fortschritt und Alterung sind quasi «Nutzenindikatoren».


Nicht nur das Durchschnittsalter steigt seit Jahren stetig, sondern dabei reduzieren sich insbesondere auch die vorzeitigen Todesfälle erheblich (gemessen an der Anzahl von Jahren, die Menschen vor ihrem 75. Geburtstag verstarben).
Dieser Zugewinn an Lebenszeit ist dem medizinischen Fortschritt zu verdanken ist. Wir verdanken ihm Behandlungserfolge – damit aber erhöht sich wiederum die Nachfrage nach medizinischen Leistungen: «Denn im Gegensatz zu einem verstorbenen Patienten besucht der überlebende Patient eine Rehabilitation, nimmt regelmässig Medikamente ein, sucht seinen Arzt auf – und erleidet ein paar Jahre später erneut eine Erkrankung», so der Meinungsbeitrag der FMH-Vertreter. Zusätzlich zu erwähnen sei der volkswirtschaftliche Nutzen, der sich aus den erwähnten Fortschritten ergebe.

Erst wissen, dann urteilen

Kurz: Die gesundheitspolitische Diskussion müsste ergänzt und erweitert werden – durch eine bessere Aufarbeitung und Diskussion des Nutzens, der mit den Kosten stets auch im Zusammenhang steht. «Denn ein Urteil, wieviel Gesundheitsversorgung wir uns für wie viel Geld leisten wollen, setzt voraus, dass uns neben den Kosten auch bewusst ist, was wir dafür erhalten bzw. worauf wir eventuell verzichten müssten – und ob ein solcher Verzicht nicht letztlich teurer käme», schreiben Schlup und Wille.
Deshalb werden in den kommenden Ausgaben der «Schweizerischen Ärztezeitung» Vertreter verschiedener Fachdisziplinen Beispiele für den Nutzenzuwachs in ihren Arbeitsbereichen darlegen. Schiesslich spiegle sich der Nutzen des medizinischen Fortschritts in vielen Disziplinen – von Neonatologie und Geburtshilfe bis hin zu Geriatrie und Palliativmedizin.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Ärzte gegen neue WZW-Verträge: «So zementiert man Unrecht»

Rund 250 Ärztinnen und Ärzte wenden sich gegen die geplante Reform der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Sie beklagen, die FMH lasse sich von den Kassen vereinnahmen – und fordern eine Urabstimmung über den Umgang mit statistischen Sanktionen.

image

Die Schweiz ist mehr denn je von ausländischen Ärzten abhängig

Der Anteil der hier berufstätigen Ärztinnen und Ärzte mit ausländischem Diplom nähert sich der Hälfte des Bestandes.

image

Packungsgrössen und Milliardenverluste: Die endlose Debatte um Medikamentenabfall

Die Gesundheitskommission des Ständerats hat an ihrer Sitzung zwei Motionen gutgeheissen, die der Medikamentenverschwendung Einhalt gebieten soll. Es ist der x-te Anlauf.

image
Gastbeitrag von Bettina Balmer, Fabian Kraxner und Belinda Nazan Walpoth

Und jetzt: Digitalisierung, Ambulantisierung, weniger Bürokratie

Die Kostenbremse-Initiative ist zurecht gescheitert. Sie bot kein konkretes Rezept, um die Gesundheitsausgaben zu bremsen.

image

Inselkonflikt: So äussert sich der Gesundheitsdirektor

Das nächste grosse Projekt sei es, die Stimmung am Inselspital zu verbessern, sagt der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg.

image
Gastbeitrag von Andri Silberschmidt

Digitalisierung: Jetzt können wir die PS auf den Boden bringen

Wenn es um Digitalisierung geht, wird zuviel über Fax und EPD diskutiert – und zu wenig über Prozesse. Höchste Zeit, das zu ändern.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.