Jeder zehnte Deutsche stirbt beatmet im Spital

Deutschland beatmetet weitaus mehr Patienten als andere Länder - etwa die Schweiz. Das kostet viel – und nützt wenig, wie eine Studie zeigt.

, 19. Juni 2024 um 05:51
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In der Schweiz werden Patienten am Lebensende deutlich weniger oft beatmet als in Deutschland. | SRF
Eine neue Studie zeigt, dass in deutschen Spitälern weitaus mehr Patienten beatmetet werden als in den Spitälern anderer Länder mit ähnlich entwickeltem Gesundheitssystem. Trotzdem ist die Spitalsterblichkeit in unserem Nachbarland mit 43,3 Prozent sehr hoch.
Genauso wie die Kosten von sechs Milliarden Euro jährlich.

Zu viele Betagte noch beatmet

«Jeder zehnte Deutsche stirbt sogar beatmet im Krankenhaus», stellt Studien-Mitautor Wolfram Windisch laut einer Mitteilung fest. Dem Präsidenten der Deutschen Lungenärzte ist aufgefallen, dass vor allem hochaltrige Patienten sehr häufig auf den Intensivstationen beatmet würden, aber dennoch versterben.
«Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, ob wir ethisch und medizinisch das Richtige tun, wie auch gesellschaftlich-ökonomisch“, findet Matthias Kochanek, Präsident der Deutschen Intensiv- und Notfallmediziner, gemäss einer Mitteilung.
Die Frage sei auch, ob es in deutschen Kliniken so viele Beatmungsbetten gebe, weil die Patienten sie brauchen. Oder brauche es nicht vielmehr so viele Patienten in diesen Betten, damit sich ein Spital finanzieren könne?

Mehr Prävention und weniger Beatmung

Die deutschen Lungenärzte kritisieren insbesondere, dass Deutschland das Schlusslicht bei der Tabakprävention sei. Tabakkonsum sei einer der grössten Risikofaktoren für viele und schwere Lungenerkrankungen, die wiederum die Hauptgründe für die Beatmung auf Intensivstationen seien.
Statt solche Krankheiten mit Prävention zu verhindern, werde «maximal mit allem, was geht, behandelt», kritisiert Windisch.
Der deutsche Gesundheitsökonom Reinhard Busse, ebenfalls Mitautor der Studie, ist überzeugt: «Wir brauchen diese Beatmungsbetten nicht alle.»

In der Schweiz wird weniger beatmet

Schweizer Spitäler beatmen Patienten weit zurückhaltender als deutsche Kliniken. Das zeigen die Zahlen der Schweizer Spitäler.
2020 wurden in 73 Schweizer Spitälern risikogewichtete Sterblichkeitszahlen bei 12'235 Patienten untersucht. Insgesamt sind davon 3'487 PatientInnen im Spital verstorben - also nur 28 Prozent statt über 43 Prozent wie in Deutschland.
Die höchste in einem einzelnen Spital beobachtete Sterberate liegt bei 44,4 Prozent, Die geringste Sterblichkeit bei künstliche Beatmungen hatte - unter Berücksichtigung der Risikogewichtung - das St. Claraspital in Basel mit 8,1 Prozent Todesfällen.
Die weiteren Spitäler mit sehr geringer Sterberate bei beatmeten Patienten:
Kantonsspital Glarus 13,3%
Spital Morges 13,5%
Ospedale di Mendrisio 13,6%
Hôpital de La Tour in Genf-Meyrin 15,9% 
Kantonsspital Baselland 16,9%

Ausgewertet wurden die Daten der gut 1 Million erwachsenen Patienten, die zwischen 2019 und 2022 in 1395 deutschen Spitälern beatmet wurden. Insgesamt verstarben 43,3 Prozent der Beatmeten im Krankenhaus.
Die Zahl der beatmeten Patienten innerhalb der Gesamtbevölkerung war insbesondere bei den über 80-Jährigen mit mehr als einem Prozent pro Jahr sehr hoch.
Die durchschnittlichen Kosten pro beatmeten Patienten betrugen 2022 mindestens 25’500 Euro.

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