Experte fordert: Nicht mehr, sondern flexiblere Pflegefachleute

Hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass die Schweiz gar nicht mehr Pflegepersonal braucht? Ein Avenir-Suisse-Experte sagt: Ja.

, 10. Juni 2020 um 05:41
image
  • spital
  • pflege
  • coronavirus
  • pflegeinitiative
Verleiht die Corona-Krise der Pflegeinitiative wirklich den grossen Schub, den nun alle erwarten? Mitnichten, sagt ein Experte der Ideen-Gemeinschaft Avenir Suisse. 

Sogar zuviel Personal in der Corona-Krise

Jérôme Cosandey, seit knapp zwei Jahren Westschweizer Direktor von Avenir Suisse und als Forschungsleiter vorwiegend mit Gesundheitspolitik beschäftigt, äussert sich in der «Berner Zeitung» provokant: Er fürchtet sich davor, dass aus der Politik nun der Ruf nach mehr Personal komme. Denn er ist überzeugt: «Wir hatten in der Krise genug, ja zuviel Personal.»
Für gegen 20 000 Angestellte im Gesundheitswesen sei nämlich sogar Kurzarbeit beantragt worden, hält er fest. Das Problem sei jedoch gewesen, dass das Personal nicht überall genug flexibel eingesetzt worden sei.

«Betriebsfeuerwehr» für Krisen

Als lobende Beispiele erwähnt er den Kantone Zürich: Dort wurden Angestellte mit Kurzarbeit dorthin versetzt, wo sie gebraucht wurden. Auch Genf habe vorbildlich gehandelt. Dort wurde die Behandlung von Corona-Patienten auf wenige Spitäler konzentriert.
Cosandey warnt davor, die Kapazitäten auf den Schweizer Intensivstationen auf sämtliche Pandemien in den nächsten 50 Jahren auszurichten. Besser wäre, es das Pflegepersonal so auszubilden, dass es im Notfall auf der Intensivstation mitarbeiten könnte - wie eine Betriebsfeuerwehr in Industriebetrieben.

Weniger Zeitmangel mit besserer Organisation?

Und der chronische Zeitmangel des Pflegepersonal, die Erschöpfung und die überdurchschnittlich hohe Kündigungsrate? Für Cosandey ist nicht unbedingt der Personalmangel der Grund für die hohe Unzufriedenheit beim Pflegepersonal. «Manchmal liegt es auch an der Organisation und der Bürokratie», sagt er im Interview.
Er betont auch, dass die Pflegefachkräfte bei der Stellensuche in bester Position seien. Sie fänden jederzeit eine neuen Arbeitsort. Deshalb sei es an den Personalverantwortlichen der Spitäler, attraktive Arbeitszeitmodelle anzubieten.

Cosandey fordert höhere Arbeitspensen

Generell warnt Jérôme Cosandey davor, den Bestand des Pflegepersonals massiv aufzustocken. Er bezweifelt, dass es künftig so viel mehr Pflegepersonal brauchen werde. Nicht berücksichtigt werde, dass effizienter gearbeitet werden könne, dass Spitex-Leistungen ausgebaut werde und dass die Technik Fortschritte mache.
Ein Dorn im Auge ist ihm auch, dass etwa bei der Spitex der durchschnittliche Beschäftigungsgrad bloss bei 43 Prozent liege. Das entspreche zwar dem Wunsch der Angestellten, koste aber viel, weil für fünf Vollzeitstellen zwölf Personen ausgebildet und rekrutiert werden müssen.

Bevölkerung will keine höheren Pflegekosten

Er legt den Punkt ausserdem auf einen weiteren wunden Punkt: Die Bevölkerung klage bereits jetzt, wie hoch Pflegekosten seien - in Pflegeheimen etwa betragen sie 75 Prozent. Gäbe es mehr Personal, würde die Pflege noch teurer.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Pflege im Fokus: Zentralschweizer Spitäler starten Video-Kampagne

Die Spitäler der Zentralschweiz lancieren eine Video-Kampagne, in der Pflegende selbst Regie führen.

image

Was tun gegen die Personalnot? Mehr Macht für die Pflege.

In Frankreich werden die Kompetenzen der Pflegefachleute bald drastisch erweitert. Die Nationalversammlung hat ein entsprechendes Gesetz durchgewunken – einstimmig.

image

Innovative Kinderradiologie am Kantonsspital Baden

Das Kantonsspital Baden setzt in seinem Neubau neue Massstäbe in der patientenfreundlichen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Die Kinderradiologie bietet ein breites Spektrum an diagnostischen und therapeutischen Leistungen und arbeitet eng mit anderen Fachbereichen zusammen.

image

Covid: Eine Patentlösung für Pflegeheime gab es nicht

Die Pflegeheime standen in der Pandemie an vorderster Front. In Genf ging nun eine Studie der Frage nach: Was hätten sie besser machen können?

image

Pflege plus Integration: Freiburg startet Pilotprojekt

Der Kanton reagiert auf den Pflegepersonal-Mangel mit einer Spezial-Ausbildung: Sie verbindet Sprachunterricht mit beruflichem Einstieg in Pflegeheimen.

image
Die Schlagzeile des Monats

«Niemand kam und sagte: Schön bist du da»

In unserer Video-Kolumne befragen wir Experten aus der Branche zu aktuellen Themen. Diesmal: Alessia Schrepfer, Gründerin und Co-Chefin von WeNurse.

Vom gleichen Autor

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Medikamente: Diese fünf Irrtümer müssen alle kennen

Epinephrin statt Ephedrin? Solche Verwechslungen können tödliche Folgen haben. Gut zu wissen, wo die grössten Gefahren lauern.