Vor kurzem nahm ich an einer Sitzung teil, wo sich ein deutscher Professor darüber beklagte, dass in einem deutschen Krankenhaus bestimmte Arzneimittel fehlten, während diese im benachbarten Krankenhaus jenseits der Grenze in Österreich in der Apotheke verfügbar seien. Er sagte dem Apotheker, ob er wisse, dass er viel Geld verdienen könnte, wenn er die Medikamente nach Deutschland verkaufen würde.
Der Apotheker lehnte dies ab und sagte ihm, dass ihn die Mangellage in Deutschland nicht erstaune, denn schliesslich zahlten die Deutschen pro Packung auch 50 Cents weniger. Der Professor schloss daraus, dass der Wettbewerb aufhören müsse, wenn wegen 50 Cents die Versorgung von Kindern – es ging um Arzneimittel für Kinder – gefährdet sei.
«Das Hauptproblem in den meisten westeuropäischen Sozialversicherungssystemen ist in der Regel nicht Markt-, sondern Staatsversagen.»
Doch: Das Hauptproblem in den meisten westeuropäischen Sozialversicherungssystemen ist heute in der Regel nicht Markt-, sondern Staatsversagen. Denn das Gesundheitswesen ist nicht ein Markt, wenn schon wären es verschiedene Teilmärkte, die nach unterschiedlichen Regeln funktionieren.
Im Übrigen ist Wettbewerb in westeuropäischen Sozialversicherungssystemen nur sehr eingeschränkt zugelassen. Für die Staatsfanatiker gehen diese Einschränkungen noch immer zu wenig weit. Daher fordern sie weitere Einschränkungen bzw. Verzerrungen von Wettbewerbs-Mechanismen, beispielsweise durch Extrazahlungen an öffentliche Institutionen, wenn das Geld nicht reicht. Faktisch handelt es sich dabei um eine Rückkehr zum alten Defizitdeckungs-System.
«Selbst keines der Universitätsspitäler in der Schweiz dürfte an sich versorgungsrelevant sein.»
In der Schweiz dürfte kaum ein Spital wirklich unersetzbar und damit systemrelevant sein. Viele der ländlichen Bedarfe können in einem innovativen ambulant-digitalen Setting und/oder in bestehenden Rehabilitationskliniken erbracht werden. Zentrumsspitäler sind in der Regel auch nicht systemrelevant, weil viele von ihren Leistungen entweder durch die zu vielen Universitätsspitäler oder durch entsprechend spezialisierte Privatkliniken abgedeckt werden könnten.
Selbst keines der Universitätsspitäler in der Schweiz dürfte an sich versorgungsrelevant sein, wenn von den Einzugsgebieten anerkannter europäischer Universitätsspitäler mit Einzugsgebieten von zwei bis vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ausgegangen wird.
«Wenn soziale Unterstützung für sozial Schwächere erwünscht ist, dann soll sie zielgerichtet erfolgen – an jene, die es nötig haben.»
Solche Überlegungen sind kein Ausdruck sozialer Kälte, sondern ein Plädoyer, die wohlfahrtsstiftenden Wirkungen des Instruments Wettbewerb nicht mit Pauschal-Argumenten beseitigen zu wollen, um sich diesem nicht stellen zu müssen.
Wenn soziale Unterstützung für sozial Schwächere erwünscht ist (als Staatsbürger ist sie dies für mich persönlich), dann soll sie zielgerichtet erfolgen – und zwar an jene, die es nötig haben.
Oder um an das Beispiel des Professors zurückzukehren: Deutschland ist kein Entwicklungsland. Es betont gerne, die europäische Wirtschaftslokomotive zu sein (oder sein zu wollen). Wenn diese sich seit Jahren – unabhängig der politischen Ausrichtung - der Schnäppchen-Jägerei und der Preisreduktion im Gesundheitswesen verschrieben hat, sich aber in vielen Bundesländern den Luxus leistet, beispielsweise die ohnehin arbeitsrechtlich bevorzugten Beamtinnen und Beamten (auch im Gesundheitswesen) über die Beihilfe des Dienstherrn zu privilegieren statt sie ordentlich in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen zu lassen, dann darf das Resultat nicht überraschen. Gut gibt es spätestens dann den Wettbewerb über die Landesgrenzen hinaus.
Willy Oggier, Gesundheitsökonom