«Das Gesundheitswesen wird noch mehr Teilzeit-Möglichkeiten anbieten müssen»

Wie gewinnt man gutes Personal? Wie hält man es? Wie wird man als Arbeitgeber attraktiv? Das weiss Markus Lüdi, der oberste Personalchef der Insel Gruppe. Ein Interview über die Anforderungen an Universitäts-, Stadt- und Landspitäler.

, 24. Juni 2016 um 13:00
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Herr Lüdi, die Insel Gruppe erhielt soeben die «Spitalrose» des VSAO Schweiz: Diese Auszeichnung würdigt, dass bei Ihnen der Mutterschaftsschutz auch für Frauen mit befristeten Verträgen gilt. Warum bieten Sie so etwas an?
Frauen spielen im Gesundheitswesen eine immer wichtigere Rolle, überhaupt stellen sie in unserer Gesellschaft eine der letzten Ressourcen dar. Wir werden künftig noch mehr auf sie setzen müssen – darauf, Frauen zu gewinnen, aber auch darauf, sie zu halten. Das heisst auch: Wir müssen versuchen, einen grösseren Prozentsatz der Frauen an uns zu binden, wenn sie Mütter werden. Unser Angebot für Frauen mit befristeten Verträgen soll ihnen auch zeigen, dass sie wichtig sind.
Das soll also auch ein Signal im Hinblick auf eine Karriere sein – nicht nur für normale Jobs?
Es geht einerseits um normale Positionen. Andererseits zeigt so ein Angebot auch, dass wir die Frauen übers ganze Berufsleben bei uns haben möchten – vor der Mutterschaft, während der Mutterschaft und in den Jahren danach. Als Universitätsspital haben wir viele Assistenz- und Oberärzte, die befristet angestellt sind, denn sie befinden sich daneben noch auf ihrem wissenschaftlichen Track. Für sie ist es wichtig zu wissen, dass sie durch die Befristung nicht bestraft werden.
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    Markus Lüdi

    Markus Lüdi ist Direktor Personal der Insel Gruppe, die zu Jahresbeginn aus Inselspital und Spital Netz Bern entstanden ist. Er ist ausgebildeter Betriebsökonom HWV und war in seiner Karriere unter anderem im Personal- und Ausbildungsbereich der UBS, der Bank Bär und der Basler Versicherungen tätig, aber auch als selbstständiger Unternehmer. Für das Inselspital arbeitet er seit Dezember 2010.

Welche Geheimrezepte haben Sie sonst, um die Fluktuation zu senken?
Leider sind die Rezepte hier nicht geheim. Es ist wie überall: Wir richten uns nach den wichtigsten Bedürfnissen, welche moderne Arbeitnehmende im Gesundheitswesen haben.
Welche sind das vor allem?
Der Lohn steht bei Weitem nicht zuvorderst. Wichtig ist erstens ein gutes Arbeitsklima, wozu auch ein fairer und guter Chef gehört. Zweitens bedarf es guter Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Die Leute wollen eine Entwicklungsperspektive. Und drittens wären da zeitgemässe Anstellungsbedingungen, wenn es um Flexibilität, Belastbarkeit, Arbeitszeit und Einsatzdauer geht.
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Die Insel Gruppe auf der Carefair

Die Insel Gruppe gehört zu den Ausstellern der Carefair – der ersten Jobmesse für das Schweizer Gesundheitswesen. Sie findet vom 25. bis 28. Oktober in Zürich statt. Im Vorfeld der Carefair präsentiert Medinside Interviews mit ausgewählten Personal-Experten der Schweizer Gesundheitsbranche.
Aber übers Personalmanagement kann man diese drei Punkte doch nur begrenzt gestalten: Die Sachzwänge, die Realitäten und auch die Personen in den Kliniken sind doch viel stärker.
Es ist ein Zusammenspiel. Auf der einen Seite müssen die Bedürfnisse der Mitarbeitenden beachtet werden. Auf der anderen Seite stehen bestimmte Anforderungen – nicht nur der Kliniken, sondern überhaupt des Gesundheitswesens. Denn da braucht es immer mehr Effizienz, immer höhere Performances. Und der dritte Aspekt sind all die gesetzlichen und sozialpartnerschaftlichen Vorgaben, die wir auch noch unter denselben Hut bringen müssen. Diese drei Spannungsbögen harmonieren leider oft nicht besonders.
Wenn Sie einen interessanten Bewerber, eine Bewerberin zum Job-Interview treffen: Welche Stärken der Insel Gruppe streichen Sie da besonders heraus?
Ein wesentlicher Punkt ist unsere neue Struktur: Als Universitätsspital konnten wir immer schon sehr viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten. Fast alles, was an ärztlichen und nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen angeboten wird, ist am Inselspital möglich. Dadurch, dass nun auch ein Stadtspital und vier Landspitäler zur Gruppe gehört, können wir noch mehr Weiterentwicklungsmöglichkeiten anzubieten.

«Im Gesundheitswesen steckt der ganze Bereich des Personalmarketing noch in den Kinderschuhen»

Das kann zum Beispiel interessant sein für einen Assistenz- oder Oberarzt, der später in einer Praxis arbeiten will. Oder wir können einer gut ausgebildeten allgemeinen Krankenpflegerin in einem Landspital die Möglichkeit bieten, innerhalb des gleichen Hauses auch im universitären Umfeld zu arbeiten.
Nicht nur das Inselspital ist also Ihr Pfund auf dem Arbeitsmarkt – das Spital Aarberg ist es genauso?
Ja. Da muss natürlich noch Vieles wachsen, der Verbund besteht ja erst seit Jahresbeginn. Aber um diese Breite zu betonen, treten wir als Insel Gruppe auf dem Arbeitsmarkt auf.
Wo spüren Sie den Fachkräftemangel trotzdem am stärksten?
Wir haben vor allem einen Fachärztemangel. In der Insel Gruppe gibt es zwar weniger Probleme, Assistenzärztinnen und Assistenzärzte zu gewinnen, da wir ein A-Ausbildungshaus sind. Aber auf Stufe Oberarzt und Leitende spüren wir den Fachärztemangel ebenfalls – und ganz sicher in der spezialisierten Pflege: Anästhesiepflege, Intensivpflege, Notfallpflege, Operationspflege.
Wo wird sich die Lage in den nächsten Jahren entspannen? Und wo noch verschärfen?
Stark verschärfen sollte sich die Situation nicht, aber ich denke, sie bleibt angespannt. Auf der einen Seite wird der wirtschaftliche Druck einige Spitäler zu Verkleinerungen zwingen, einige werden sogar schliessen müssen. Zudem wurden in den letzten Jahren viele Ausbildungsinitiativen gestartet, bei Ärzten wie in der Pflege. Auf der anderen Seite steht die demographische Entwicklung – es gibt weniger junge Leute, und aus politischen Gründen können wir nicht mehr so leicht aus dem Ausland rekrutieren. Aber die Bevölkerung hat immer mehr Pflegebedarf.
Rekrutieren Sie aktiv im Ausland?
Wir haben Versuche gemacht. Die Spitäler haben ja schon mehrfach versucht, gruppenweise Personal im Ausland zu gewinnen: Da engagierte man in einem Land zwanzig oder dreissig gut ausgebildete, junge Pflegefachleute. Aber das hat schlecht funktioniert. Denn bis zum Punkt, wo die Leute auch Deutsch können und vor Ort eingearbeitet sind, verliert man allzu viele wieder. Fachleute aus dem Ausland stellen wir noch im Einzelfall an, aber das läuft dann über die normalen Bewerbungskanäle.

Zu den offenen Stellen bei der Insel Gruppe

Heute kann man sagen: Als Universitätsspital rekrutieren wir für die allgemeine Krankenpflege schweizweit, für die spezialisierte Pflege europaweit und für die Ärzteschaft weltweit. Immer aber mit der Restriktion, dass die Leute Deutsch sprechen müssen. Wir können nicht wie eine Grossbank einfach verfügen, dass jetzt alle Englisch reden.
Wohin geht die Entwicklung: Wie können sich die Spitäler künftig besser als Arbeitgeber vermarkten?
Man muss nur sehen, wie sich andere Branchen entwickelt haben, die über Jahre unter einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt litten. Die Arbeitsbedingungen werden insgesamt in den nächsten Jahren verbessert werden müssen. Zum Beispiel muss das Gesundheitswesen noch mehr Teilzeit-Möglichkeiten anbieten. Es braucht vermehrt die Instrumente, damit die Leute nicht pro Monat an zwei oder drei Wochenenden arbeiten müssen.

«Nicht einmal ein Viertel der Spitäler haben heute ein Online-Rekrutierungsinstrument»

Weiter steckt im Gesundheitswesen der ganze Bereich des Personalmarketing noch in den Kinderschuhen. Wir fangen jetzt erst an, über Befragungen zu ermitteln, welches die besten Arbeitgeber sind; bei den Banken gibt es das schon seit dreissig Jahren. Dann werden die Sozialen Netzwerke eine wichtigere Rolle spielen – da sind viele Spitäler noch gar nicht drauf. Nicht einmal ein Viertel aller Spitäler haben heute ein Online-Rekrutierungsinstrument; in vielen Spitälern arbeitet man da noch nach alter Väter Sitte mit Papier. Es gibt also noch einiges zu tun.
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