Wie man Spitalärzte zu Bürokraten macht

In der Akutsomatik können die Ärzte nur noch etwa einen Drittel ihrer Arbeitszeit direkt für die Patienten nutzen. Trotzdem: Eine grosse Mehrheit ist zufrieden mit dem Job – und vor allem herrscht an den Schweizer Spitälern ein hervorragender Teamgeist.

, 6. Januar 2016 um 10:00
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Nur noch rund einen Drittel ihrer Zeit verwenden Ärztinnen und Ärzte der Akutsomatik für patientennahe Tätigkeiten. In der Psychiatrie und der Rehabilitation liegt der Anteil sogar bei nur etwa einen Viertel. Auf der anderen Seite nimmt der administrative Aufwand der Mediziner zu. 
Dies ein Fazit der aktuellen Begleitstudie zu den Auswirkungen der neuen Spitalfinanzierung. Die FMH lässt jährlich vom Institut GfS Bern ermitteln, wie sich das 2012 eingeführte SwissDRG-System auf die Ärzte auswirkt. In diesem Jahr wurden dabei 1296 Medizinerinnen und Mediziner befragt.
Und laut deren Aussage sank der Anteil der medizinischen patientennahen Tätigkeiten bei den Spitalärzten seit 2011 klar. Auf der anderen Seite stieg der administrative Aufwand in den Spitälern an. 

Und was heisst das für die Weiterbildung?

Konkret: In der Akutsomatik verbrachten die Ärzte 2015 im Schnitt täglich rund 15 Minuten mehr Zeit mit Dokumentationsarbeiten als 2011. Besonders betroffen waren dabei die Assistenzärzte: 27 Prozent ihrer Arbeitszeit verbrauchen sie für Dokumentationsarbeiten. «Dies ist insofern kritisch, als sie möglichst viel Zeit ihrer Weiterbildung für die Tätigkeit am Patient erhalten sollten», kommentiert die FMH in ihrer Mitteilung.
Während sich die administrativen (Zusatz-)Belastungen aus Dokumentationsarbeiten und dem Patientendossier ergaben, mussten die Ärzte – laut der GfS-Erhebung – bei gewissen anderen administrativen und nicht-medizinischen Tätigkeiten weniger Zeit aufwenden. 

  • GfS Bern/FMH: «Trotz steigendem Dossieraufwand bleibt die Spitalärzteschaft motiviert»: Begleitstudie anlässlich der Einführung von SwissDRG sowie der geplanten stationären Tarife in der Rehabilitation und Psychiatrie im Auftrag der FMH, 5. Befragung 2015. Januar 2016.

In der «Neuen Zürcher Zeitung» schildert FMH-Vizepräsident Pierre-François Cuénoud konkret, wie die Verlagerung spürbar wird: Früher habe er als Spitalarzt einer Krankenschwester gesagt, der Patient brauche drei Aspirin, das dauerte fünf Sekunden. Heute hingegen müsse sich der Arzt in das System einloggen, im elektronischen Patientendossier ein Medikament auswählen, die Dosis vermerken – ein Aufwand von einer bis zwei Minuten. 
Und weil Kader- und Oberärzte solche Aufgaben gern delegieren, verbringen Assistenzärzte heute dermassen viel Zeit mit Dokumentations-Arbeiten.

Und die Chefs haben mehr mit den Kassen zu tun

Auf Ebene der Chefärzte wiederum, so die Studie weiter, ist man heute stärker in den direkten Kontakt mit den Krankenkassen involviert, etwa wenn es um Nachfragen oder Überweisungen an die Reha geht.
Unter dem Strich konnten die Ärzte in der Akutsomatik also nur noch einen Drittel ihrer Zeit (35,1 Prozent) direkt auf die Patienten verwenden, in der der Psychiatrie und in der Rehabilitation sogar nur gut einen Viertel. 
Zugleich stieg seit 2013 der Prozentsatz an der Ärzteschaft, die häufig Stress ausgesetzt ist. So beklagen sich etwa die Hälfte der Spitalärzte darüber, meistens oder häufig unter Stress zu leiden. 

Ein Lob für Pflegepersonal und Belegärzte

Auf der anderen Seite ist die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte «sehr» oder «eher» zufrieden mit ihrer Arbeitstätigkeit. Dies dürfte unter anderem mit der hohen Berufsidentifikation und der guten Zusammenarbeit im Team zusammenhängen, interpretiert die FMH. 
Denn rund 95 Prozent der Spitalärzte sind «zufrieden» oder «eher zufrieden» mit ihrem Team. Die Zusammenarbeit funktioniert offenbar auch über das ärztliche Kernteam sehr gut oder gut, nämlich sowohl mit der Pflege (90 Prozent) als auch mit dem praxisambulant tätigen Arztpersonal (77 Prozent). 
Die Strategie ihres Spitals beurteilen knapp 70 Prozent der akutsomatisch tätigen Ärztinnen und Ärzte als sehr gut oder gut, in der Psychiatrie und Rehabilitation tun dies über 80 Prozent.

Tarpsy und ST Reha stossen weiter auf Widerstand

Trotz allem: Die Ärzte sehen die Fallpauschalen-Idee weiterhin kritisch. Die neue Erhebung bringt jedenfalls eine erhebliche Skepsis an den Tag gegenüber dem neuen Tarifsystem TARPSY (für die Psychiatrie), das wie ST Reha (für die Rehabilitation) per 2018 eingeführt werden soll.
Über die Hälfte der befragten Psychiaterinnen und Psychiater steht der Einführung klar oder eher ablehnend gegenüber. In der Rehabilitation haben rund 30 Prozent eine klar oder eher ablehnende Haltung gegenüber ST Reha. 
«Die grössere Skepsis in der Psychiatrie könnte damit zusammenhängen, dass bei TARPSY über einen Fallpauschalenanteil diskutiert wird und bei ST Reha dieser aktuell nicht vorgesehen ist», interpretiert die FMH.




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