Bemerkenswert ist der Wahrnehmungs-Graben, weil er einen kaum beachteten Kern der ethischen und betriebswirtschaftlichen Debatte in der Medizin tangiert; und weil er, wie manches Gespräch in der Branche zeigt, hierzulande ebenfalls bestehen dürfte.
Ein Team der Uni Bremen befragte in einer qualitativen Studie Ärzte und Direktoren deutscher Krankenhäuser in Pilotinterviews (22), Leitfadeninterviews (41), ferner in drei Fokusgruppen, in Expertenbefragungen und einem Werkstattgespräch.
Dilemma enttabuisieren
Deutlich wurde dabei, dass sich die beiden Gruppen klar unterschieden, wenn es um die Patientenversorgung geht. Die Geschäftsführer verwiesen auf die Gewinnorientierung – aber betonten, dass sie keinen direkten Einfluss auf ärztliche Entscheidungen nähmen. Lediglich mittelbar könne das Handeln des Arztes beeinflusst werden.
Die Ärzte indessen berichteten von einem wachsenden Druck, betriebswirtschaftliche Interessen zu berücksichtigen. Dies führe zu Unter-, Über- und Fehlversorgung der Patienten, aber auch zu ethischen Konflikten – und zu Stress und Frust.
Die Autoren – die Gesundheitsökonomen Karl-Heinz Wehkamp und Heinz Nägler – folgerten daraus, dass die Rahmenbedingungen und das Management tatsächlich die Medizin zulasten der Patienten und Ärzte beeinflussen, aber auch des Pflegepersonals.
«Die Dilemmata von Ärzten und Geschäftsführern sollten enttabuisiert werden», so ein Fazit. «Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Steuerungskonzepte sind auf dieser Grundlage zu verändern.»
Die Logik des Herzkathetermessplatzes
Es fragt sich natürlich, wer mehr recht hat (und ob eine Seite eher die Wahrheit meldet). In einem
Kommentar zur Studie sichtete Johannes Köbberling, ehemaliger Chefinternist an den Kliniken St. Antonius in Wuppertal, den Problemkern bei den Strukturen: Die Geschäftsführer würden sich tatsächlich hüten, in die ärztlichen Fälle hineinzureden; aber es sei eben auch logisch, dass ein Herzkathetermessplatz, der aus Konkurrenzgründen eingerichtet wurde, am Ende zu einer Ausweitung der Indikationen führt.
Die Ärzte wiederum dürften bei der Gestaltung der Strukturen zuwenig beteiligt sein. An einer tieferen Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Klinikmanagern bei grundsätzlichen Entscheidungen führe kein Weg vorbei, so Köbberling. «Ärzte dürfen sich nicht auf das Klagen beschränken. Sie müssen sich mit ökonomischen Gesetzmässigkeiten auseinandersetzen und sich aktiv in die Gestaltung des Klinikbetriebs einbringen.»