Eine Checkliste für die Piloten im Operations-Saal

Zehn Schweizer Spitäler testeten den professionellen Einsatz einer Abhak-Liste bei chirurgischen Eingriffen. Der Erfolg sei enorm – so dass jetzt ein Lernprogramm für alle Spitäler entwickelt wird.

, 6. Juli 2015 um 07:22
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Was Piloten machen, können Chirurgen auch: Mit dieser Prämisse übten zehn Schweizer Spitäler in den letzten zwei Jahren den vertieften und professionellen Einsatz einer Checkliste bei Operationen. Durch die Verwendung solch einer Liste sollten Kunstfehler vermieden und die Sicherheit bei Operationen erhöht werden.
Bekanntlich gibt es dafür längst die «WHO-Checkliste», aber diese wurde und wird nicht standardmässig eingesetzt – und oft auch nur unvollständig.
Das Pilot-Programm «progress! Sichere Chirurgie» sollte und soll nun dazu beitragen, dass ein Ops-Check einheitlich und kontinuierlich angewandt wird. Mit dabei waren unter anderem das Universitätsspital Basel, das CHUV, das Spitalzentrum Biel oder die Kantonsspitäler Baden und Uri.

Ein Kulturwandel lässt sich feststellen

Jetzt hat Patientensicherheit Schweiz, die Mentorin des Programms, eine Bilanz gezogen. Die Checkliste habe markante Verbesserungen bewirkt, teilt die Stiftung mit. So verhalf das Hilfsmittel zu klaren Rollenzuteilungen in den Operationssälen oder zu besserer Teamkommunikation – ja, es lasse sich sogar ein Kulturwandel feststellen.
Konkret wurde die Liste in jedem Pilotspital angepasst und dann in den OP-Teams trainiert; dafür stellten die zehn Häuser auch die Ressourcen zur Verfügung, teils wurden ganze OP-Säle dafür blockiert. «Ohne das Pilotprogramm hätten wir nie so intensive Trainings durchgeführt», resümiert Antoine Oesch, Chirurg am Spitalzentrum Biel.

Klar, wer was wann sagt

Einige Betriebe zogen sogar Piloten bei, um durch die Parallelen zur Luftfahrt das Sicherheitsbewusstsein im eigenen Haus zu schärfen und den notwendigen Kulturwandel aufzuzeigen.
Doch was sind die konkreten Folgen? Einige Beispiele:

  • Die korrekte Anwendung der Checkliste ist jetzt Standard bei jeder Operation. In der Schlusserhebung bei 2'000 Mitarbeitenden der Pilotspitäler gaben 90 Prozent der Befragten an, dass die Checkliste «immer oder fast immer angewendet» wird. Bei Programmbeginn hatte die Quote bei 40 Prozent gelegen.
  • Das Wissen zur chirurgischen Checkliste hat sich laut Einschätzung der Befragten von 45 auf 85 Prozent verdoppelt.
  • Es gibt jetzt eine klare Zuteilung der Rollen, wer wann was sagt.
  • Die Anwendung der Checkliste wurde in allen Spitälern vermehrt zu einer Teamaktivität. Die Erkenntnisse dahinter halfen zudem, Hierarchie-Gefälle zu überwinden. 

«Obwohl bei einer Operation der Chirurg der Hauptverantwortliche ist, trägt jede und jeder eine Mitverantwortung für die Sicherheit des Patienten und muss sich auch trauen dürfen, Bedenken zu äussern», sagt Henry Hoffmann, Chirurg am Universitätsspital Basel. Und Michael Petraschka, Anästhesist am Kantonsspital Uri, meint: «Wir kommunizieren eindeutig klarer, beim Team-Time Out herrscht Ruhe, und wenn ich dem Chirurg etwas sage, schauen wir uns an.»

Siehe auch: «Wie unfassbare Kunstfehler passieren können»

Nun soll ein neuer eLearning-Kurs entwickelt werden, den alle Schweizer Spitäler beziehen können. Patientensicherheit Schweiz möchte damit den konsequenten Einsatz der chirurgischen Checkliste flächendeckend in allen Schweizer Operationsbetrieben unterstützen.

Wie half die Checkliste konkret? Ein Beispiel.

«An einem Vormittag hatte ich sechs praktisch identische Operationen hintereinander: Es ging um die Spaltung des Karpaltunnels bei der Handwurzel. Bei zwei Patienten ist an der gleichen Hand auch ein sogenannter TriggerFinger (schnellender Finger) zu operieren, die durch eine springende Sehne verursacht wird. 
Die Patienten werden alle unter Regionalanästhesie operiert. Ihre Hände sind demnach klar identifiziert, Seiten können kaum verwechselt werden. Kurzfristig musste aus betrieblichen Gründen die Reihenfolge der Operationen umgestellt werden: Patient #5 mit dem Trigger-Finger kam nun vor Patient #4 ohne Trigger-Finger dran.
Ich begrüsste Patient #5 im Operationssaal über die Abdecktücher und sagte, was ich zu jedem Patienten sage: «Wir kümmern uns jetzt wie besprochen um Ihre Hand.» Doch erst beim genauen Durchgehen der Checkliste stelle ich fest, dass ich nicht den Patienten vor mir habe, den ich dachte. Ohne die Checkliste hätte ich zwar richtigerweise den Karpalkanal gespalten, es aber ausgelassen, mich um den Trigger-Finger zu kümmern. Für den Patienten hätte das zu einer zweiten Operation mit einer entsprechenden Verlängerung der Erholungszeit geführt.» 
Aus dem Bericht von Patientensicherheit Schweiz
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