Keine Mehrheit für mehr staatliche Steuerung

Die Gesundheitskommission (NR) will nichts von neuen staatlich beaufsichtigten und gesteuerten Leistungserbringer im Gesundheitswesen wissen. Sie hat sich klar gegen die Schaffung von «Netzwerken» entschieden. Das ist gut so. Als Alternative soll die freiwillige Kooperation gestärkt werden.

, 29. Mai 2023 um 04:00
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Es ist klar: Wer älter wird oder ein komplexes Gesundheitsbedürfnis hat, ist schnell auf die Beratung und Leistung von verschiedenen Gesundheitsdienstleistern angewiesen. Meistens sind Ärzte, Apotheker, Versicherungen und weitere Stellen gemeinsam involviert. Um Doppelspurigkeiten (Stichwort: Unnötige Mengenausweitung) zu vermeiden, ist die Koordination der unterschiedlichen Leistungserbringer enorm wichtig.
Um die Koordination zu gewährleisten, wollte der Bundesrat einen neuen Leistungserbringer schaffen. Also neben den vielen bestehenden Silos ein neues Silo einsetzen.
Er konnte jedoch nie belegen, weshalb diese Massnahme einen Mehrwert bringen soll. Die potenziellen Spareffekte wurden nur grob geschätzt und konnten nicht nachvollziehbar aufgeschlüsselt werden. Im Gegenteil: Es gab Befürchtungen, dass die Kosten mit einem neuen Leistungserbringer zugenommen hätten, weil allein die Schaffung, Steuerung und Überwachung dieses zusätzlichen Players einen enormen Aufwand mit sich gebracht hätte.
Das Nein zum staatlich orchestrierten Netzwerk ist aber kein Nein zu einer besseren Koordination. Dafür sind verschiedene Massnahmen mit dem Ziel notwendig, die regulatorischen Hürden zur interprofessionellen Zusammenarbeit zu senken (nicht abschliessend):
  • Elektronisches Patientendossier (EPD): Ein gut funktionierendes EPD würde die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen massiv erleichtern. Dabei muss sichergestellt sein, dass der Patient stets die Hoheit über den Zugang und die Nutzung der Daten hat und dass der Austausch von strukturierten Daten möglich ist (siehe hierzu auch meine beiden überwiesenen Vorstösse «Einführung eines eindeutigen Patientenidentifikators» und «Einführung einer digitalen Patientenadministration».)
  • Neuer Tarif für ambulante Leistungen (Tardoc): Der neue Tarif berücksichtigt koordinierende Leistungen zwischen den verschiedenen Leistungserbringer besser als der aktuelle Tarif Tarmed. Der Bundesrat hat es in der Hand, den neuen Tarif endlich in Kraft zu setzen.
  • Mehrjahresverträge ermöglichen: Heute ist es Krankenversicherern und ihren Kunden nur möglich, Verträge über ein Jahr abzuschliessen. Neu sollen sie Mehrjahresverträge abschliessen können. Das stärkt den Anreiz für die Versicherer, in die Gesundheit ihrer Kunden sowie in die Koordination zu intensivieren. Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat einen entsprechenden Antrag gutgeheissen.
  • Information der Versicherer an die Versicherten zulassen: Die Versicherer sitzen auf einem grossen Datenschatz, den sie nur beschränkt zu Gunsten der Versicherten nutzen dürfen. Das Gesetz lässt es heute nicht zu, dass die Versicherer ihre Kunden informieren dürfen, wenn sich aus den Personendaten zum Beispiel eine Übermedikation abzeichnet. Das kann schwerwiegende Folgen haben. In Zukunft sollen sie auch die Möglichkeit haben, über mögliche Einsparungen oder funktionierende Versorgungsmodelle zu informieren. Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat auch hier einen entsprechenden Antrag gutgeheissen.
Anstelle neuer hoheitlicher Aufgaben wie die Schaffung eines neuen Leistungserbringers braucht es eine regulatorische Erleichterung, die eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglicht. Immer mit den Bedürfnissen der Patienten und der Patientinnen im Mittelpunkt.
Andri Silberschmidt ist Nationalrat der FDP und Mitglied der Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-N).

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