Private Spitex-Firmen kämpfen gegen «Heimatschutz»

Sie seien keine Rosinenpicker, wehren sich private Spitex-Unternehmen. Sie möchten gleichbehandelt werden wie die öffentliche Spitex.

, 7. Dezember 2022 um 07:00
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Marcel Durst ist der Geschäftsführer des Privat-Spitex-Verbands Association Spitex privée Suisse. | zvg
Immer mehr Menschen brauchen Spitex-Leistungen. Immer häufiger sind es auch private Firmen, die ihre Dienste anbieten. Sie erledigen mittlerweile bereits über einen Viertel der Spitex-Aufträge. Doch die Kantone bremsen: Sie haben Angst, dass sich private Spitex-Unternehmen nur die Rosinen im Kuchen herauspicken und die weniger lukrativen Aufträge ablehnen könnten.

Öffentliche Spitex bevorzugt

Ein solcher Kanton ist auch Bern: Er finanziert die öffentlichen Spitex-Organisationen grosszügig und verlangt dafür, dass sie alle Aufträge annehmen und keine Patienten ablehnen. Knapp 20 Millionen Franken gibt er dafür jährlich aus.
Das stört die privaten Spitex-Unternehmen. Sie fordern nun immer nachdrücklicher gleich lange Spiesse für öffentliche und für private Betriebe. Sie seien systemrelevant und würden einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, betont Marcel Durst, der Geschäftsführer des Privat-Spitex-Verbands Association Spitex privée Suisse.

«Vorwürfe sind scheinheilig»

Er geht hart ins Gericht mit den Kantonen, die vor allem eines befürchten: dass die privaten Spitex-Anbieter die weniger lukrativen Aufträge ablehnen könnten. «Diese Vorwürfe sind scheinheilig», so Durst. «Die Unterfinanzierung gegenüber den öffentlichen Spitex-Organisationen zwingt dazu, dass gewisse Aufträge nicht angenommen werden können.» Als Beispiel nennt der den Kanton Zürich: Dort betrage die Differenz 55 Franken pro Stunde.
Durst ist überzeugt, dass es der Markt schon richten würde – wenn man den Markt denn wirklich spielen lassen würde. Er glaubt, dass nur ein kleiner Anteil, maximal fünf Prozent, der Aufträge nicht attraktiv genug seien, dass ihn eine Privat-Spitex ablehnen würde. Nicht attraktiv heisst: Ein langer Anfahrtsweg für einen kurzen Einsatz. Diese wenigen ungeliebten Aufträge könnte man höher entschädigen, so dass auch diese Aufträge ausgeführt würden.

Zybach gegen Durst

Im Kanton Bern ist man überzeugt, dass es für weit mehr als nur fünf Prozent der Aufträge eine Zusatzentschädigung brauche. Ursula Zybach, die Präsidentin des bernischen Verbands der öffentlichen Spitex-Organisationen, hat weitere Einwände gegen die private Konkurrenz: Ihr könnte plötzlich das nötige Personal fehlen, weil es teuer sei, jederzeit für alle Einsätze genug Angestellte zu beschäftigen.
Kurz: Zybach glaubt nicht, dass private Unternehmen die Versorgungssicherheit der Spitex gleich gut garantieren könnte wie die öffentliche Spitex. Schützenhilfe erhält die Spitex-Präsidentin von den Behörden. Das kantonale Gesundheitsamt fürchtet ebenfalls eine Versorgungslücke und will sich nicht auf die privaten Spitex-Firmen einlassen.

War die Ausschreibung unfair?

Das zeigte sich auch, als Bern letztes Jahr erstmals den Spitex-Auftrag ausschrieb. Prompt gewann die öffentliche gegen die private Spitex. Die insgesamt 44 Nonprofit-Spitex-Organisationen haben sich gegen private Anbieter durchgesetzt und sind nun mindestens bis 2025 für die Versorgung des ganzen Kantons zuständig. Für Durst ist klar, dass die Rahmenbedingungen unfair gewesen seien und nur wenige private Organisationen überhaupt Angebote eingegeben haben.
Das Problem der Privat-Spitex ist, dass noch nirgends in der Schweiz eine private Spitex-Organisation die gesamte Versorgung übernommen hat und damit bewiesen werden könnte, dass das funktioniert, was Marcel Durst vorschlägt.

Versuch abgelehnt

«Ich habe dem Regierungsrat vorgeschlagen, einen Versuch in einer kleineren Stadt und einer Landregion zu machen», sagt Durst. Er ist überzeugt, dass sich viel Geld sparen liesse, wenn private und öffentliche Spitex-Unternehmen die gleich langen Spiesse hätten – statt dass die Kantone weiterhin Heimatschutz betreiben. «Es müssten allerdings gewachsene Strukturen hinterfragt werden. Das tut weh, wenn man etwas die geschützte Werkstatt verlassen müsste.»
Durst betont, dass die privaten Anbieter die gleichen Bewilligungen hätten, die gleichen Ausbildungsstandards erfüllen müssten und exakt die gleichen Beträge abrechen würden. «Wo ist der Unterschied?», fragt er sich. Er fügt hinzu, dass die Privaten Bezugspflege anbieten würden, also weniger Personalwechsel bei den Patienten zur Folge hat.

15 Prozent sparen mit Privaten

Sowieso habe sich das Image der Privat-Spitex in den letzten Jahren stark verbessert. Er prophezeit, dass nicht nur der Kanton Bern, sondern auch weitere Kantone wegen des enormen Kostendrucks Ausschreibungen für die Spitex-Aufträge machen müssten. «Wenn diese fair sind, können wir auch gewinnen, wie das Beispiel Aarburg und Oftringen zeigt. Die Gemeinden sparen mit den privaten Firmen etwa 15 Prozent bei gleicher Leistung.»

Nicht alle Kantone sind so skeptisch wie Bern

Es gibt mittlerweile ein paar Kantone, welche die private Spitex als ähnlich zuverlässig taxieren wie die öffentliche. Marcel Durst nennt als Beispiele den Thurgau, St. Gallen, Schaffhausen, die Waadt, Neuenburg, Solothurn und Basel-Stadt.

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