Pflegepersonal setzt sich selber zu viel unter Druck

Viele Pflegefachpersonen leisten überdurchschnittlich viel in ihrem Beruf. Überdurchschnittlich hoch ist deshalb auch das Risiko, dass sie psychisch leiden.

, 24. Juli 2019 um 05:44
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Gute Pflege ist körperliche und geistige Schwerarbeit. Das lernen Pflegefachpersonen während ihrer Ausbildung. Doch im Berufsalltag ist solche gute Arbeit kaum zu leisten: Zeitdruck und Personalmangel verhindern oft, dass Pflegepersonen das umsetzen können, was sie eigentlich zu leisten bereit sind. Das frustriert. Und es macht längerfristig krank. Körperlich und psychisch.
Manche Pflegefachfrau und mancher Pflegefachmann versucht, die schlechten Arbeitsbedingungen durch mehr persönlichen Einsatz wettzumachen, und so trotz Personalmangel eine möglichst gute Betreuung der Patienten sicherzustellen.

Die Hälfte der Pflegefachpersonen wollen nicht im Beruf bleiben

Doch solche Selbstausbeutung funktioniert auf die Dauer nicht. Eine Umfrage der Gewerkschaft Unia im letzten Winter hat gezeigt: 47 Prozent der Pflegenden sind sich sicher, dass sie nicht bis zur Pensionierung in ihrem Beruf bleiben werden. Die Gründe sind unzureichende Arbeitsbedingungen und gesundheitliche Probleme durch die Arbeit.
Der Stress bei der Arbeit macht 70 Prozent der Befragten zu schaffen. 86 Prozent fühlen sich regelmässig müde und ausgebrannt. In der Pflege sei die emotionale Komponente besonders wichtig, sagte Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachpersonen (SBK) , kürzlich gegenüber der «Sonntagszeitung». «Pflegende öffnen sich immer auch ein Stück weit selber.» Das berge dann aber auch die Gefahr, dass ihnen Stresssituationen sehr nahe gingen.

Sie meinen, persönlich zu versagen

So nahe, dass sie krank werden. Weil es oft nicht reicht, dass Pflegefachleute den akuten Personalmangel in vielen Spitälern mit zusätzlichem persönlichen Einsatz wettmachen, geraten manche Pflegefachleute in eine gefährliche Abwärtsspirale: Sie haben das Gefühl, persönlich versagt zu haben, sind deshalb bereit, noch mehr zu leisten und haben immer weniger Zeit für sich und ihr persönliches Umfeld.
«Patienten aus Pflegeberufen haben überdurchschnittlich oft eine Depression», stellt der deutsche Psychiater Volker Köllner fest. Depressionen können sogar zu Suizid führen. Eine Studie des Lausanner Universitätszentrums für Allgemeinmedizin und Gesundheitswesen (Unisanté) zeigt, dass Frauen in Pflegeberufen ein um 26 Prozent höheres Suizidrisiko haben als Frauen in anderen Berufen. Bei Männern in Pflegeberufen liegt das Risiko sogar um 34 Prozent höher.

Am wichtigsten ist Hilfe von Aussen

Zum Vergleich: Kosmetikerinnen und Coiffeusen haben ein um 34 Prozent geringeres Risiko als der Durchschnitt. Bei den Männern sind es Juristen und Uni-Dozenten, welche viel weniger häufig Suizid begehen als Männer aus anderen Berufen. Dass Pflegepersonal oft hohen psychischen Belastungen ausgesetzt ist oder sogar unter Burnouts und Depressionen leidet, ist auch dem Berufsverband bekannt.
«Haben Sie jemanden, der Sie begleitet?»: Das ist dann meistens die erste Frage, die Andrea Frost-Hirschi, Leiterin der Rechtsberatung der SBK Sektion Bern, stellt. Es sei wichtig, dass sich Betroffene an ihren Hausarzt oder an einen Psychiater wenden, sagt sie. Und zwar nicht nur wegen des Arztzeugnisses für die Lohnfortzahlung.

Pflegefachleute beissen sich länger selber durch

«Betroffene müssen eine Stelle haben, wo sie abladen können», sagt die Juristin. Gerade bei Pflegefachleuten, die sich gewohnt sind, anderen zu helfen, sei die Gefahr gross, dass sie selber erst spät merken, dass sie Hilfe bräuchten.
Häufig wenden sich Betroffene an Fachleute aus dem eigenen Spital. «Es ist aber manchmal besser, extern eine Ärztin oder einen Arzt suchen», sagt Andrea Frost-Hirschi. Auch eine psychologische Beratung könne eine gute erste Massnahme sein.

Kurse zum Vorbeugen

Der SBK bietet zudem Kurse an, welche der Überbelastung im Beruf vorbeugen sollen. So gibt es im August und September einen zweitägigen Kurs zum Thema «Resilienz – ein menschliches Talent». Dessen Ziel: Die psychische Widerstandskraft in schwierigen Lebenssituationen zu fördern. Dadurch soll es Pflegefachleuten gelingen, mit Krisen und widrigen Umständen besser zurechtzukommen.
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