Heinz Locher: «Die Krankenkassen sind nicht in der Lage, gesundheitspolitisch zu denken»

Der Monismus ist tot – es lebe die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Lebe? Soweit sind wir noch nicht.

, 8. Dezember 2017 um 05:00
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Zuerst zur Begriffentwirrung: Monismus bedeutet laut gängigem Sprachgebrauch, dass die Krankenkassen sämtliche Gesundheitskosten vollumfänglich übernehmen, also auch stationäre Aufenthalte; dafür sollen sie von den Kantonen eine Pauschale erhalten. Die Rede ist von 9 Milliarden Franken. Das wäre in etwa der Betrag, den die Kantone heute für stationäre Behandlungen aufwerfen.

Schlüssel von 24 zu 76

Beim EFAS beteiligen sich die Kantone nicht nur an den Kosten für stationäre Aufenthalte, sondern auch an den Kosten für ambulante Behandlungen im Spital und in Arztpraxen. Man spricht von einem Schlüssel von 24 zu 76. Die Kantone bezahlen 24 Prozent; die Krankenkassen 76 Prozent. Was Curafutura unter EFAS versteht, bezeichnet Santésuisse als «Dual fix über alles».
Heute werden stationäre Behandlungen zu 45 Prozent von den Krankenkassen und zu 55 Prozent von den Kantonen finanziert. Alle ambulanten Eingriffe, auch solche in Spitalambulatorien, werden von den Krankenkassen bezahlt.

Dual fix über alles

Ob Monismus, EFAS oder eben «Dual fix über alles» zur Anwendung kommt, scheint den Krankenkassen einerlei zu sein: Hauptsache, die gesundheitlichen Leistungen werden einheitlich finanziert. Das finden auch Politikerinnen und Politiker. Zahlreiche Vorstösse zeugen davon. Im Parlament sucht die Subkommission Monismus unter dem Präsidium der CVP-Nationalrätin Ruth Humbel nach Lösungen. Bisher mit wenig Erfolg. Das Problem liegt bei den Kantonen: Sie zeigen keinerlei Interesse an einer einheitlichen Finanzierung.

Locher über die Krankenkassen

Laut dem Gesundheitsökonomen Heinz Locher kommt der Monismus für die Kantone schon deshalb nicht in Frage, weil sie dann nur noch zahlen müssten und nichts mehr zu sagen hätten. So nach dem Motto: «Wer zahlt, befiehlt». 

«Es wäre schön, wenn die Krankenkassen wenigstens als Treuhänder der Versicherten agieren würden»

Heinz Locher 
Zudem hat der reine Monimus laut Locher auch sonst keine Chance, weil die Krankenkassen nicht in der Lage seien, gesundheitspolitisch zu denken. «Es wäre schön, wenn sie wenigstens als Treuhänder der Versicherten agieren würden», sagt er.
Bei der einheitlichen Finanzierung Spital stationär und ambulant müssten die Kantone das Heft – beziehungsweise das Portemonnai – nicht aus der Hand geben. Mit dem Leistungsauftrag üben sie bereits eine gewisse Kontrolle aus.
Dennoch sträuben sie sich die Kantone weiterhin gegen eine einheitliche Finanzierung. Ihr Credo lautet «ambulant vor stationär». Gewisse Kantone planen oder führen bereits eine Liste von medizinischen Eingriffen, die nur noch in begründeten Fällen stationär vorgenommen werden dürfen. Beim jetzigen Finanzierungsmodell entlastet das die Staatskasse.

Behutsame Expertengruppe

Interessanterweise ging die Expertengruppe unter der Leitung von Alt-Ständerätin Verena Diener mit Forderungen zur einheitlichen Finanzierung sehr behutsam vor. 14 Personen mit medizinischem und gesundheitsökonomischem Hintergrund hatten daran gearbeitet, also keine Lobbyisten. Mit dabei auch der oben zitierte Heinz Locher. Im Bericht, der am 25. Oktober 2017 veröffentlicht wurde, werden 38 Massnahmen vorgeschlagen. Massnahme 26 lautet: «Einheitliche Finanzierung pauschalierter Leistungen im spitalambulanten Bereich».

EFAS-light

Es ist also so etwas wie eine EFAS –light. Nur Spitalambulatorien, nicht aber Arztpraxen sollen einheitlich finanziert werden. Und zwar nur dann, wenn die entsprechenden Spitäler vom Kanton einen entsprechenden Leistungsauftrag haben.
Für Heinz Locher ist das eine Mini-Lösung, ein erster Durchbruch. Klar hätte er lieber eine einheitliche Finanzierung über das gesamte Leistungsangebot. Im Wissen, dass es politische keine Chance hat, sei die Mini-Lösung besser als nichts.

Subkommission im Januar

Die genannte Subkommission wird ihre Arbeit trotz des Expertenberichts mit der Mini-Lösung fortsetzen und im Januar zuhanden der nationalrätlichen Gesundheitskommission Vorschläge unterbreiten. Letztere wird dann entscheiden, ob ein oder mehrere Vorschläge in die Vernehmlassung geschickt werden.

«Ich in der Meinung, dass eine einheitliche Finanzierung ambulant-stationär in der Umsetzung auch ein monistisches System zuliesse mit dem Monisten Krankenversicherer.»

Ruth Humbel
Ruth Humbel teilt die Einschätzung nicht, dass der Monismus tot sei. «Ich in der Meinung, dass eine einheitliche Finanzierung ambulant-stationär in der Umsetzung auch ein monistisches System zuliesse – mit dem Monisten Krankenversicherer», sagt sie. Gleichzeitig müssten aber die Kantone bessere Steuerungsmöglichkeiten im ambulanten Bereich bekommen, Einfluss auf die Tarife nehmen und Ihre Ausgaben für ihre Kantonseinwohner kontrollieren können.
Würde EFAS als dual-fixe Finanzierung umgesetzt, bestehe die Gefahr, dass ein administratives Monster entstehe, wenn zum Beispiel jede Physiotherapeutin die Rechnung nicht nur der Krankenkasse und dem Patienten, sondern auch noch dem Kanton einschicken müsse.

Kurze Geschichte des Monismus

Die Frage des Wechsels zu einer monistischen Finanzierung ist alt. Bereits 2004 zeigte Professor Robert Leu in einem Expertenbericht die Stossrichtung für ein künftiges Modell mit sechs Umsetzungsvarianten.
Am 20. März 2009 verlangte die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel in einer Motion die Einführung des Monismus im KVG. Der Bundesrat lehnte die Motion ab und zwei Jahre nach Einreichen wurde sie im Parlament abgeschrieben, «weil seit mehr als zwei Jahren hängig», wie es offiziell heisst.
Die Aargauerin gab nicht auf: Sie reichte eine parlamentarische Inititiave gleicher Stossrichtung ein. Darauf wurde die Subkommission Monismus aus der Taufe gehoben. Die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ist deren Präsidentin, nach dem Weggang von Felix Gutzwiller (FDP, ZH), Urs Schwaller (CVP, FR) und Toni Bertoluzzi (SVP, ZH) die einzige verbleibende Parlamentarierin mit langjähriger Erfahrung im Gesundheitswesen. 
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