Es handelt sich um die grösste Sammlung weltweiter Sterbedaten: Ein Forscherteam der Universität Tübingen und der Hebräischen Universität Jerusalem ermöglicht einen Ländervergleich unabhängig von offiziell gemeldeten Corona-Zahlen.
Die Sterblichkeitsraten bezogen sich laut der
Medienmitteilung der Uni Tübingen auf bestimmte Zeiträume der Pandemie und lassen ein Bild der Lage unabhängig von der Corona-Teststrategie und -kapazität, den gemeldeten Infektionszahlen oder auch der Berichtspolitik eines Landes zu.
In ihrer Studie berichten Dmitry Kobak vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde der Universität Tübingen und Ariel Karlinsky von der Hebräischen Universität Jerusalem von extremen Unterschieden: «Während die Todeszahlen in einigen lateinamerikanischen Ländern in der Pandemie um mehr als die Hälfte stiegen, starben in Australien und Neuseeland sogar weniger Menschen als in vergleichbaren Zeiträumen vor der Pandemie.»
In Deutschland sei die Übersterblichkeitsrate – die Zahl der Toten über die zu erwartende Sterblichkeitsrate hinaus – unter der der europäischen Nachbarländer. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal
eLife online veröffentlicht.
Für eine bestimmte Bevölkerung sollen sich erwartete Sterbezahlen über die kommenden Monate und Jahre auf der Grundlage der entsprechenden Daten aus vergangenen vergleichbaren Zeitspannen berechnen lassen. Pandemien, Kriege sowie Natur- oder menschengemachte Katastrophen würden zusätzliche Tote über die erwarteten Zahlen hinaus verursachen.
Öffentlich verfügbare Datensammlung
«Die Sterbedaten sind unabhängig von zahlreichen anderen Aspekten und dadurch sehr aussagekräftig», wird Ariel Karlinsky in der Mitteilung zitiert. Bis jetzt habe es jedoch keine globale, aktuell gehaltene Sammlung dieser Zahlen gegeben. Um diese Lücke zu füllen, haben Ariel Karlinsky und Dmitry Kobak wöchentliche, monatliche und vierteljährliche Sterbedaten aus 103 Ländern und Regionen gesammelt, die sie im World Mortality Dataset öffentlich verfügbar gemacht haben. Sie selbst nutzten diese Daten, um die Sterblichkeitsraten der einzelnen Länder während der COVID-19-Pandemie zu erfassen.
Diese Länder traf die Krise am meisten
«Uns hat interessiert, ob eine Übersterblichkeit durch die Pandemie zu verzeichnen war, und wenn ja, in welchem Umfang – und ob die Zahlen über die Länder hinweg vergleichbar waren», so Karlinsky. Die Analysen ergaben, dass in einigen der Länder, die am schlimmsten von Covid betroffen waren – vor allem Peru, Ekuador, Bolivien und Mexiko – die Übersterblichkeit bei mehr als 50 Prozent der zu erwartenden jährlichen Sterblichkeitsrate lag oder bei mehr als 400 zusätzlichen Toten pro 100'000 Einwohner in Peru, Bulgarien, Nordmazedonien und Serbien.
Zugleich lag die Sterblichkeit in Ländern wie Australien und Neuseeland während der Pandemie unter dem üblichen Level. Die Autoren gehen davon aus, dass dies durch die Abstands- und Hygieneregeln zustande kam, was die Tode durch andere Infektionen als Covid-19 reduzierte. Sie stellten zudem fest, dass zwar viele Länder genaue Covid-19-Sterbedaten übermittelten, andere aber – darunter Nicaragua, Weissrussland, Ägypten und Usbekistan – nur weniger als ein Zehntel der tatsächlichen Pandemietoten meldeten.
Die Schweiz im Vergleich
Der Studie zufolge lag die Übersterblichkeit in Deutschland in der Pandemie bisher bei rund 40’000 Verstorbenen. «Das sind viel weniger als die 90’000 offiziell gemeldeten Toten durch Covid-19», sagt Kobak. Wahrscheinlich seien die Sterbezahlen bei anderen Atemwegserkrankungen während der Wintermonate gesunken.
Bei 50 zusätzlichen Toten pro 100’000 Einwohnern habe Deutschland in der Pandemie eine viel geringere Übersterblichkeit erfahren als umliegende europäische Länder. Zum Vergleich: Schweiz: 100; Niederlande: 110; Belgien: 140; Frankreich: 110; Österreich: 110, Tschechien: 320; Polen: 310 – ausgenommen ist Dänemark. Das Land verzeichnet keine Übersterblichkeit (siehe Text unten betreffend die Sterblichkeitsrate in der Schweiz).
«Insgesamt erhalten wir durch unsere Ergebnisse ein umfassendes Bild der Folgen der Covid-19-Pandemie. Wir hoffen, dass wir so ein besseres Verständnis der Pandemie erlangen und sich der Erfolg verschiedener Eindämmungsmaßnahmen besser erfassen lässt», sagt Kobak. «Unser Datenbestand soll auch anderen Forschern helfen, ihre Fragen zur Pandemie zu beantworten.» Der World Mortality Dataset soll ausgebaut und weiterhin aktualisiert werden.
Originalpublikation:
Ariel Karlinsky and Dmitry Kobak: Tracking excess mortality across countries during the COVID-19 pandemic with the World Mortality Dataset. eLife, https://doi.org/10.7554/eLife.69336 Top 10 countries in the World Mortality Dataset by various excess mortality measures. (Orignialstudie)
Auszug aus der BFS-Sterblichkeitsstatistik der Schweiz
In der ersten Welle der SARS-CoV-2-Epidemie war vom 16.3.2020 (Woche 12) bis 19.4.2020 (Woche 16) eine Übersterblichkeit zu beobachten. In diesen Wochen starben in der Altersgruppe von 65 Jahren und älter 1510 Personen mehr als erwartet (26%) und in der Altersgruppe unter 65 Jahren 100 Personen (12%) mehr als erwartet. Die Woche mit grösster Übersterblichkeit in der ersten Welle war Woche 14: Zwischen 30. März und 5. April 2020 starben 46% mehr Personen als erwartet im Alter von 65 Jahren und älter.
In der zweiten Welle der SARS-CoV-2-Epidemie war vom 19.10.2020 (Woche 43) bis 31.1.2021 (Woche 4) eine weitere Periode mit Übersterblichkeit zu beobachten. In diesen Wochen starben in der Altersgruppe 65 Jahre und älter etwa 8440 Personen mehr als erwartet (47%) und in der Altersgruppe unter 65 Jahren rund 250 Personen (10%) mehr als erwartet. In den Wochen 46 bis 51 (9.11.—20.12.) wurden in der Altersgruppe 65 und älter jeweils zwischen 165% und 170% der erwartetet Todesfälle gezählt.
Zur Sterblichkeitsstatistik und weiteren Infos geht es
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